Aktuell, Medienwandel 18. Juni 2019

Der Boom der Audios steht gerade erst am Anfang

by Christian Jakubetz

Das Thema Audios boomt- und wie! Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht über Podcasts, Smartspeaker oder Sprachsteuerung gesprochen wird. Einer, der von Anfang an bei der Wiedergeburt des Audios dabei war, ist Christian Bollert. Im Universalcode-Podcast spricht er u.a. darüber, wieso die Entwicklung bei Thema Audio gerade erst am Anfang steht.

Christian Bollert (Foto: Detektor fm)

Du bist Geschäftsführer von Detektor FM in Leipzig. Ihr macht Radio relativ neuer Art. Wie genau sieht das aus?

(lacht) Wir machen viel mit Audio rum. Wir haben uns spezialisiert auf alles, was mit Radio, Podcasts und Audio zu tun hat. Uns gibt es jetzt mittlerweile seit gut neuneinhalb Jahren. Wir sind, glaube ich, einer der führenden Anbieter für journalistische Podcasts in Deutschland, die nicht aus dem öffentlich-rechtlichen Kosmos kommen. 

Euer Verständnis von Radio ist vermutlich eines, bei dem der klassische Radiomacher zusammenzuckt und sagt: Wir machen nicht Audio, sondern wir machen Radio und vielleicht gibt es uns auch irgendwo noch als Podcast. Wie seid ihr bei Detektor auf dieses völlig andere Verständnis von Radio gekommen?

Das hat tatsächlich mit unserem Verbreitungsweg zu tun. Die allermeisten unserer Nutzer nutzen uns über Audio-Plattformen wie Spotify, Apple oder Google.  Das heißt, die Plattform Radio ist für uns gar nicht mehr so wichtig. Wir denken mittlerweile auch schon seit ein paar Jahren, dass wir Dinge zuerst für den Podcast entwickeln und dann weiterverwenden. Das passiert dann auch im Radio, das wir natürlich auch noch weiterhin haben. Aber das Radio ist eher eine Präsenz für die Podcasts. 

Es ist heutzutage niemanden mehr zu erklären, warum er um 20.10 Uhr einen Beitrag zu einem bestimmten Thema hören soll – und nicht dann, wenn er möchte.   

In einem Podcast hat mir der Moderator Werner Reinke vom HR mal gesagt, der Unterschied zwischen gutem Radio und Spotify sei, dass Spotify nicht moderieren könne…

Spotify selber kann nicht moderieren, aber natürlich kann ein Podcast-Macher moderieren. Und Spotify geht ja genau in diese Richtung, dass sie sagen: Wir kombinieren deine persönliche Musikauswahl mit deiner persönlichen Podcast-Auswahl und vielleicht noch Nachrichten und Informationen. Und daraus stellen wir dir ein personalisiertes Radio zusammen. Wenn dann noch quasi jemand als übergreifender Moderator vielleicht so ein bisschen die Dinge zusammenhält, warum soll das nicht auch Radio sein? Ich glaube, da verändert sich gerade sehr viel.

Erleben wir beim Radio gerade das, was wir beim Fernsehen schon vor fünf Jahren gesehen haben? Weg vom linearen Programm, hin zum personalisierten Programm? Seid ihr das Netflix des Radios?

Wir sind wahrscheinlich nicht das Netflix des Radios, aber wir produzieren Serien wie bei Netflix. Das glaube ich tatsächlich. Wir sind die Inhalte-Produzenten, die Plattformen sind andere. Aber im Prinzip passiert genau das auch aus meiner Perspektive. Das ist auch das, was wir seit Jahren beobachten und auch auf allen Konferenzen immer wieder erzählen. Und es ist auch heutzutage niemanden mehr zu erklären, warum er um 20.10 Uhr einen Beitrag zu einem bestimmten Thema hören soll – und nicht dann, wenn er möchte.   

Die Entwicklung geht viel schneller als ich jemals dachte. Sie ist bei allen unseren Nutzern angekommen. Wir sehen, dass wir im Audio-Bereich von Jahr zu Jahr immer noch 40 bis 50 Prozent Wachstumsraten verzeichnen seit Jahren. Das hört auch nicht auf. Der große Treiber im Moment im Audio-Markt ist ganz klar. Alle, die sich da nicht vernünftig aufstellen, kriegen in den nächsten Jahren Probleme, genauso wie es halt im linearen Fernsehbereich ist. 

Bei der letzten Radio-MA habe ich mir gedacht, dass so langsam in Deutschland 270 Prozent der Leute Radio hören müssten. Es gibt in jedem Bundesland ungefähr 37 Marktführer und alle sind super-erfolgreich. Bin ich jetzt doof oder ist irgendwas falsch?

Ich glaube, da sind wir nicht die einzigen, die berechtigte Zweifel an der Media-Analyse haben, zumindest an der klassischen Radio-MA. Das ist ein bisschen wie bei des Kaisers neue Kleider. Alle haben sich darauf geeinigt. Man glaubt dieser Währung jetzt. Wenn man aber mal ganz genau hinschauen würde, wäre es sicher anders und das zeigen ja auch so Versuche wie in der Schweiz, wo man einfach die Hörer mit einer Uhr wirklich konkret gemessen hat. Was hören Sie wirklich, ist da die entscheidende  Fragestellung. Da sind dann die Nutzerzahlen massiv eingebrochen, als man das mit der Uhr gemessen hat. Kein Wunder, dass man das in Deutschland nicht machen will. Dann würden eben die Nutzungsdaten deutlich runtergehen. Aber solange alle noch mit dieser Währung leben können… 

Da hat das digitale Riesen-Vorteile. Auch wenn man zugeben muss, dass auch hier noch nicht einheitliche Standards erfasst werden. Was ist ein Podcast-Download? Wie lange muss man gehört haben? Was ist ein „Unique Podcast Nutzer“? Da werden wir auch in den nächsten Jahren noch massive Diskussionen haben. In den USA geht es gerade los und da sind wir eigentlich schon mittendrin. Deshalb bin ich immer ein bisschen skeptisch, wenn jemand sagt, ich habe soundso viele Downloads oder Streams. Weil ich dann immer denke: Alleine ich kann drei verschiedene Zahlen ausgeben an Downloads und Streams. Welche davon ist denn jetzt die, von der ich gerade lese?  

Uns geht es überhaupt nicht darum, eine irre Reichweite zu haben. Wir produzieren keinen Mainstream, sondern wir singen das Lob der Nische.

Aber ich vermute mal, dass für euch bei Detektor FM weniger die absolute Reichweite als die Reichweite in euren avisierten Zielgruppen interessant ist, oder? 

Stimmt. Uns geht es überhaupt nicht darum, eine irre Reichweite zu haben. Wir produzieren keinen Mainstream, sondern wir singen das Lob der Nische. Das hat natürlich auch immer etwas mit Kompetenz zu tun. Ich kann mir fünfmal überlegen, dass ich einen coolen Fahrrad-Podcast entwickeln möchte, wenn ich keinen guten Fahrrad-Redakteur habe, wird mir das nicht gelingen. Man muss also ein bisschen gucken, welche Ressourcen und welche Chancen man hat. Aber da haben wir in den letzten Jahren gemerkt, dass wir als Audio und Podcast-Spezialisten auch da oft ein guter Vermittler sein können. Wir können Dinge ermöglichen und auf Plattformen bringen. So produzieren, dass es auch für Leute interessant ist und da auch ein bisschen Übersetzer sein für klassische Verlage. 

Podcasts sind so ein bisschen wie der Zeitungskiosk am Bahnhof.  Da gibt es halt für jede Nische ein passendes Magazin. Einige unserer beliebtesten Podcasts sind absolute Nischenthemen. Wir haben verschiedene Nischen, die wir die wir sehr gezielt besetzen und dann in dem Bereich wiederum oft glücklicherweise genau die Community oder die Leute auch erreichen, für die das interessant ist. 

Das ist eine Entwicklung, die man in vielen Bereichen von Medien feststellt. Hat General Interest noch eine Zukunft oder müssen wir uns künftig alle spezialisieren?

Für uns ist Spezialisierung auf jeden Fall die richtige Antwort. Wir können gar nicht alles abbilden. Wir wollen keine Voll-Redaktion sein. Wir können beispielsweise in unserem Live-Stream auch keine klassischen Radionachrichten machen, wo jede Stunde ein Redakteur zusammenfasst, was auf der Welt gerade wichtig ist. Alleine das würde wahnsinnig viele Ressourcen kosten. Wir konzentrieren uns auf Hintergrund und Analyse. Ich glaube aber schon, dass es auch weiterhin General-Interest-Portale geben wird. Warum sollen Spiegel Online,  Zeit Online oder von mir aus auch bild.de damit aufhören, wenn sie damit erfolgreich sind? Aber klar, auch die werden sich noch weiter ausdifferenzieren.  

Aber es wäre schwierig, von ganz unten ein neues „Spiegel Online“ aufzubauen. Dafür ist die Nachfrage nicht unbedingt da. Und da spielen dann noch die ganzen anderen Plattformen eine große Rolle, die das alles verteilen. Es wird eben doch ein bisschen granularer. Und wenn man jetzt wiederum noch auf die Meta-Ebene gehen will, wird es natürlich auch schwieriger, alle gleichzeitig zu erreichen. Das ist schon fast eine demokratische Frage, die sich da stellt: Wer hört und nutzt eigentlich noch welche Medien? 

Solange das Smartphone die Schaltzentrale von uns allen ist, sind Podcasts eine der attraktivsten Formen, Medieninhalte zu konsumieren. 

Ich vermute, dass du jetzt nicht sagen wirst, dass Podcasts gerade ein ziemlicher Hype sind, der in zwei Jahren abklingen wird…

Stimmt, das ist meine These. Was mich da so sicher macht, ist die Beobachtung von uns selbst, dass in den letzten Jahren einfach ein kontinuierliches Wachstum und eine kontinuierliche Veränderung der Nutzungsgewohnheiten zu beobachten ist. Das zeigt mir, dass es nicht nur ein kleiner Hype ist, sondern es scheint wirklich ein spannender Kanal zu sein für ganz verschiedene Leute. 

Und dementsprechend glaube ich, dass diese Form nicht weggehen wird, zumal sie einfach wahnsinnig gut zum ganzen Thema Smartphone passt. Wenn das Smartphone vielleicht irgendwann mal abgelöst wird, warum auch immer, dann könnte es vielleicht auch sein, dass der Podcast nicht mehr so sexy ist, um es mal so plump zu sagen.  Aber solange das Smartphone die Schaltzentrale von uns allen ist, sind Podcasts eine der attraktivsten Formen, Medieninhalte zu konsumieren.  

Was hältst du von der Theorie, dass das Smartphone der Zukunft sehr viel mit Sprache und Sprachsteuerung zu tun hat? Mit der Idee, dass intelligente Systeme kluge und möglicherweise auch interaktive Antworten geben? Bisher haben wir es ja meistens einfach nur mit „dummen“ mp3-Files zu tun. Das heißt, dass das zentrale Element nicht mehr unser Finger ist, mit dem wir uns auf den auf den Smartphones abmühen, sondern die Sprache. 

Zustimmung! Ich finde die Idee, dass wir uns wegbewegen hin zu Sprache als zentrales Steuerungselement, sehr überzeugend. Ich kann mir kaum vorstellen, dass wir nicht genau in diese Richtung uns bewegen und alle Indizien, die man so sieht, deuten ja auch darauf hin. Die Frage ist tatsächlich: Was bedeutet das für Medienmacher? Ich glaube, das können ganz wenige Leute im Moment noch wirklich beantworten. Aber da wird die Reise hingehen. Kurzum, Sprache ist viel schneller. Und Sprache ist auch das, was wir als Menschen als Kommunikationsmittel nutzen. Würde mich sehr wundern, wenn es nicht so ist. 

Kann es sein, dass wir uns gerade bei Sprachassistenten auf dem Niveau bewegen von Webseiten aus den späten 90ern, mit 37 Navigationspunkten in grässlichem Blau, wo irgendwelche GIFs geblinkt haben? Die Idee ist gut, aber wir scheitern immer noch an einer weitgehend unzulänglichen Technik?

Wir testen auch diverse Sprachassistenten bei uns. Ist das viel überhaupt ein Medium für Podcasts? Wir sehen bei unseren Tests, dass die Leute sehr häufig dann doch wieder zu Streams und Playlisten neigen, wenn sie Sprachassistenten nutzen. Auch, weil Podcasts ganz grässlich zu bedienen sind bisher. Zweitens aber auch, weil man sich kaum einigen kann auf welchen Podcast und welche Episode, wenn mehr als zwei Leute im Raum sind. Das ist ein bisschen, als ob man mit drei Leuten zusammen Netflix gucken möchte. Das wird nix. Und dementsprechend könnte es auch durchaus sein, dass es dann eine kleine Renaissance gibt von Playlisten von Podcasts von kuratierten Inhalten die länger sind und das ist ja auch ganz spannend. Spotify hat ja auch eine Dusch-Playlist und die haben eine Autofahrt-Playlist und sowas machen die ja nicht aus Spaß. Aber ich teile auch gleichzeitig deine Beobachtungen. Wir sagen immer so ein bisschen aus Spaß: Das ist alles so ein bisschen im Kindergartenalter. Vieles verstehen sie schon sehr gut. Aber komplexere Aufgaben, das geht noch nicht. Ich habe mir da auch schnellere Fortschritte erhofft. Ich glaube aber, dass das Potenzial, was sich da andeutet, doch schon ziemlich groß ist und dass deswegen die Entwicklung auch in den nächsten Jahren garantiert noch ganz spannend sein wird. 

Dieser Text ist die schriftliche Fassung eines Podcasts. Er wurde aus Gründen der Lesbarkeit gekürzt und redigiert. Der gesamte Podcast ist in der Audio-Datei am Anfang des Textes zu hören.

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