Warum das Netzwerk eher nicht dazu geeignet ist, eine neue Leserschaft zu erreichen: Die Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Anna Sophie Kümpel hat ernüchternde Erkenntnisse zu Facebook.
Ein Beitrag von Kathrin Haimerl

Eins vorweg: Zwar hat WhatsApp Facebook als meistgenutzte Anwendung überholt. Doch in Sachen Nachrichten liegt Facebook nach wie vor vorne: 23,5 Prozent der Befragten geben an, sich zumindest gelegentlich über das soziale Netzwerk zu informieren. Bei WhatsApp sagen dies lediglich 14,2 Prozent. Die Zahlen stammen aus dem aktuellen Digital News Report des Reuters Institute. Dennoch, sagt die Münchner Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Anna Sophie Kümpel, wird Facebook als Nachrichtenkanal bisweilen überschätzt. Kümpel sprach an der Universität Passau im Rahmen der Öffentlichen Ringvorlesung „Alles außer Kontrolle? Herausforderungen der Digitalisierung für die Gesellschaft“.(https://www.digital.uni-passau.de/beitraege/ringvorlesung-gesellschaft-und-digitalisierung/)
Überschätzt: Soziale Netzwerke als Nachrichtenkanal
Nachrichten sind ein Nebenprodukt auf Facebook. Nutzerinnen und Nutzer gehen nicht auf Facebook, um sich über das Weltgeschehen zu informieren. Tatsächlich informieren sich nur 1,9 Prozent der deutschen Onliner ausschließlich über soziale Netzwerke. Auf Facebook konkurrieren Nachrichten mit Bildern von Katzen, von Mittagessen, von Selfies der befreundeten Personen. Werden die User befragt, was sie in Sachen Nachrichten an Facebook schätzen, dann geben zwar die meisten an, dass sie sich hier ihre eigene kleine Zeitung zusammenstellen können. Allerdings belügen einige sich damit selbst, wie gleich die nächste Fehleinschätzung zeigt:
Überschätzt: “News finds me“
Viele Nutzerinnen und Nutzer glauben daran, dass Nachrichten sie aufwandslos erreichen („News-finds-me-Perception“). Das heißt, sie vertrauen darauf, dass ihnen der Facebook-Algorithmus schon die wichtigen Nachrichten in die Timeline spülen wird. Allerdings haben nur 22 Prozent der im Rahmen des Digital News Report befragten Personen tatsächlich einen Nachrichtenkanal auf Facebook abonniert. Doch auch das bedeutet nicht, dass der Algorithmus sie zuverlässig und regelmäßig mit relevanten Nachrichten versorgt. Das ist nur der Fall, wenn sich die Nutzerinnen und Nutzer auch ansonsten auf Facebook nachrichten-affin mit einem breiten Interessengebiet zeigen. Alle anderen dürfen sich glücklich schätzen, wenn sie auf Facebook überhaupt mehr oder weniger zufällig über Nachrichten stolpern. „Facebook ist keine Garantie, einen umfassenden Überblick über das Tagesgeschehen zu bekommen“, sagt die Forscherin. Trotzdem wiegen sich viele Nutzerinnen und Nutzer in dem Gefühl, dort gut mit Nachrichten versorgt zu werden. Dieses Gefühl reiche, so Kümpel, oft aus, dass sich die User nicht auf anderen Kanälen informieren.
Überschätzt: Neues Publikum
Eben weil der Algorithmus so ist, wie er ist, trägt Facebook kaum dazu bei, ein neues Publikum zu generieren. Eher im Gegenteil: Facebook zementiert bestehende Verhältnisse. Die Forscherin stellt einen Matthäus-Effekt fest: Die News-Junkies werden auch auf Facebook sehr gut bedient, Nachrichten-Muffel kommen aufgrund algorithmischer Personalisierung und des eigenen Nutzungsverhaltens kaum mit Nachrichten in Kontakt. Die Forscherin warnt vor einer zunehmenden Kluft „zwischen wenig und stark an Nachrichten interessierten Nutzerinnen und Nutzern“.
Überschätzt: Quelle der Nachricht
In den Befragungen geben Nutzerinnen und Nutzer zwar an, dass die Namen großer Nachrichten-Plattformen Interesse für eine bestimmte Nachricht geweckt hätten. Allerdings gilt das nur für den kurzen Facebook-Teaser. Damit sich die User tatsächlich mit der verlinkten Nachricht beschäftigen, braucht es mehr als einen großen Namen. Das Interesse für das Thema muss da sein. Kümpel dazu: „Wenn mich das Thema nicht anspricht, ist es sehr unwahrscheinlich, dass ich mich mit dem Beitrag auseinandersetze.“ Das Themeninteresse begründen die Nutzerinnen und Nutzer mit klassischen Nachrichtenfaktoren: Die Befragten nennen hier persönliche Betroffenheit, kulturelle und geographische Nähe. Überraschen soll die Nachricht und humorvoll präsentiert soll sie sein.
Überschätzt: Filterblasen
Immerhin: Auch negative Effekte werden überschätzt. Die kommunikationswissenschaftliche Forschung kann insgesamt nur geringe Hinweise auf Filterblasen finden. Kümpels Einschätzung: „Das Problem sind nicht ausschließlich die Algorithmen, sondern nicht zuletzt die Menschen.“ Denn: „Filterblasen entstehen im Kopf.“ Menschen neigen dazu, jenen Posts mehr Aufmerksamkeit zu schenken, die die eigene Meinung stützen. Genauso ist es übrigens am Kiosk: Auch hier greifen Menschen eher zu Produkten, die ihrer politischen Präferenz entsprechen.
Warum Verlage trotzdem auf Facebook sein sollten
Sollten sich Verlage dann überhaupt die Mühe machen, weiterhin auf Facebook vertreten zu sein? Ja, sagt Kümpel. „Man muss präsent sein, um den Namen der Marke präsent zu halten.“ Vertrauen in den Journalismus hänge eben sehr stark auch vom Wert der jeweiligen Marke ab.
Was aber lässt sich tun, um Nachrichten-Muffel auf Facebook zu erreichen? Kümpel plädiert dafür, niedrigschwellige Angebote zu schaffen, die speziell auf soziale Medien zugeschnitten sind. Als Beispiel nennt sie Video-Formate, die die Nachricht in kleinen Häppchen präsentieren. Diese können ein erstes Interesse schaffen und so unter Umständen zu einer weiterführenden Auseinandersetzung motivieren.