Social Media 21. April 2016

Und jetzt: die Tagesschau (für Messenger)!

by Christian Jakubetz

Das eigentliche „iTunes für Verlage“ ist nicht „Blendle“, sondern Facebook. Und bald wird es eine Tagesschau für WhatsApp geben. Unsinnige Szenarien oder bald Realität? Klar ist jedenfalls: Soziale Netzwerke stellen die Medienwelt gerade komplett auf den Kopf. Ein Überblick über die wichtigsten Entwicklungen.

Der erste Blick am Morgen und der letzte am Abend – gehen zu Facebook oder zu Snapchat, zu Instagram, Twitter oder Pinterest. Das klingt nicht mehr sonderlich abenteuerlich und ist es auch nicht. Das ist vielmehr digitale Lebensrealität. Klar ist auch: soziale Netzwerke sind weitaus mehr als Plauderecken mit Katzenbildern.  Wenn man sich keine Gedanken über soziale Netzwerke macht, dann hat man auch keine brauchbare publizistische Strategie. So erschütternd einfach ist das mittlerweile. Insbesondere das große Reich des Mark Zuckerberg sammelt heute eine bisher ungekannte Macht hinter sich…

Facebook: Der Gigant, der bleibt

Immer wieder mal heißt es gerne, dass es das jetzt aber allmählich gewesen sei mit der Dominanz von Facebook. Bei den Jüngeren gelte das Riesen-Netz als uncool, weswegen es immer weniger junge Menschen gebe, die sich dort noch tummeln. Und hört man nicht immer wieder mal von Problemen mit dem Datenschutz? Ist Facebook nicht zu einer Hass-Kloake geworden, in der sich Menschen mit absonderlichen Meinungen unschöne Dinge an den Kopf werfen können? Hört man immer wieder mal und ist auch alles nicht ganz von der Hand zu weisen.

Statistik: Marktanteile von Social Media Seiten nach Seitenabrufen weltweit im Februar 2016 | Statista
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Trotzdem: Der ganz große Trend weg von Facebook ist beim besten Willen nicht abzulesen. In Deutschland gelten rund 28 Millionen Menschen als Facebook-Nutzer; alle anderen Mitbewerber kommen nicht mal auf zweitstellige Millionenzahlen. Würde jemand in der Breitenwirkung zu Facebook aufschließen wollen, er würde vermutlich Jahre brauchen. Zumal speziell dort der Netzwerk-Effekt immer wieder gut zu beobachten ist, unlängst erst beim Thema Livestreaming. Wenn man mit Facebook Live auf einen Schlag deutlich mehr User als bei Twitters „Periscope“ erreicht – warum dann also nicht über Facebook streamen?

Zumal überall da, wo das Publikum andere Tendenzen aufweist, das Zuckerberg-Imperium schon mit neuen Lösungen parat steht. Das Publikum will eher untereinander kommunizieren als potentiell mit der halben Welt? Bitte sehr, „WhatsApp“ hat man schon aufgekauft und den eigenen Messenger drückt man gerade mit der unternehmenseigenen Brachialgewalt in den Markt.

Tendenz: Mag sein, dass Facebook seine ganz großen Tage hinter sich hat. Zuckerberg und sein Imperium hingegen keinesfalls. Im Gegenteil. Wenn es um Medien und Kommunikation gibt, dann gibt es potentiell niemanden, der weltweit mehr Macht auf sich zieht als Zuckerberg.

 

Heimatlos durch Social Media

Heute morgen bei Facebook: Eine kleine Geschichte der „Zeit“ wandert durch die Timeline, es geht in ihr um den „Superfood“-Wahn, der gerade durch urbane Hip-Szenen geht. Ein Klick, eine gefühlte Zehntelsekunde später ist die Geschichte auf dem Bildschirm – sogar bei wackligem Netz in der U-Bahn. Wie das geht? Es ist einer dieser „Instant Articles“, die Facebook schon längere Zeit ermöglicht, die sich aber anscheinend erst jetzt auf breiter Ebene durchzusetzen beginnen. Eine besondere Technologie sorgt für diese schnelle Darstellung – aber das ist noch nicht der entscheidende Effekt dieser Artikel. Stattdessen kann man jetzt quasi direkt in die Timelines der User hinein publizieren. Und sogar noch Geld damit verdienen: Man vermarktet den Artikel und gibt dann an Facebook nur noch einen Share ab (das bekannte iTunes-Prinzip also).

Instanrarticles
Ab sofort für alle machbar: Instant Articles.

Ist das nicht großartig? Ist es. Auf der einen Seite. Auf der anderen Seite gibt es schon auch ein paar potentielle Nachteile, die man bedenken muss. Beispielsweise, dass man mit jedem Stück, das man dort publiziert, den ohnehin schon riesigen Riesen Facebook nochmal riesiger macht. Und dass man, ob man will oder nicht, dem User signalisiert, dass er die eigenen Angebote wie beispielsweise die Homepage gar nicht mehr besuchen braucht. Wenn es hochwertige Stücke von „Zeit“ oder „Spiegel“ jetzt auch exklusiv bei Facebook gibt, wessen Marke wird dann genau gestärkt? Darüber wird man noch lange streiten können. Klar ist aber, dass ein Trend kaum mehr aufzuhalten ist: Medien verabschieden sich zunehmend mehr von den eigenen Angeboten und beliefern ihre Kunden auf den unterschiedlichsten Kanälen. Ist dieses viel geforderte „iTunes für Verlage“ am Ende gar nicht Blendle, sondern eher Facebook? Gut möglich. Die Strategie des Unternehmens jedenfalls läuft eindeutig darauf hinaus.

Aber es ist ja nicht nur Facebook. Auch eine Plattform wie Snapchat macht sich durch die Storys, die man dort erzählen kann, für Journalisten potentiell interessant. Bei Twitter dachte man kurzzeitig darüber nach, dass Limit von 140 Zeichen auf 10.000 zu erhöhen, was ebenfalls einem simplen Gedanken folgte: Menschen und Medien sollten dort längere Texte publizieren und Twitter somit zu einem Kanal machen, in dem es auch längere Lesestücke gibt.

Nichts zu vergessen: das Publikum selbst. Bis 2017 soll es angeblich in Deutschland knapp 40 Millionen Social-Media-Nutzer geben. Das wäre statistisch gesehen nahezu jeder Zweite. Rechnet man dann noch Kinder, Senioren und grundsätzliche Verweigerer weg, kommt man schnell darauf, dass nahezu jeder aus der Kernzielgruppe für Medien in irgendeinem Netzwerk unterwegs ist. Was soll also  gegen die Annahme sprechen, dass soziale Netzwerke der wichtigste Medienkanal der digitalen Zukunft werden (wenn sie es nicht schon sind)?

Tendenz: Wir nennen es Homeless Media. Möglicherweise in gar nicht mehr so ferner Zeit eher die Regel als die Ausnahme.

 

Messenger im Trend

whatsinfo
Neues Format des NDR: WhatsInfo.

Gut möglich aber, dass sich auch diese sozialen Netzwerke und unsere digitale Kommunikation gerade schon wieder verändern. Hin zu Mini-Netzwerken wie beispielsweise Messenger. „WhatsApp“, der Facebook Messenger oder auch ein Stück weit Snapchat funktionieren ähnlich wie soziale Netzwerke. Nur in klein und interaktiv. Soll heißen: Die Kommunikation und die potentiellen Reichweite auf solchen Kanälen werden nochmals runtergebrochen, potentiell sogar auf One-to-One-Situationen. Messenger funktionieren nochmal anders als soziale Netzwerke. Dort postet man nicht einfach und freut sich dann, wenn es jemand anklickt. Messenger bedeuten, dass ohne den Impuls, etwas zu teilen, es weiterzuleiten, fast nichts mehr passiert. Inhalte verbreiten sich dann also zunehmend viral und um das zu können, müssen sie erstmal geeignet sein, virales Potential zu entwickeln. Wäre man pessimistisch, könnte man sagen: Es verbreitet sich nur noch, was ohnehin populär ist, sperrige und komplexe Themen bleiben außen vor.

Kommt das so? Das ist natürlich völlig offen. Klar aber ist: WhatsApp hat weltweit eine Milliarde Nutzer. Facebook versucht gerade, seinen Messenger zum Mittelpunkt des digitalen Lebens zu machen, in dem man ebenso Nachrichten lesen wie sich eine Pizza bestellen kann. Der Gedanke, dass sich via Messenger zwei, drei oder 17 Menschen einfach unterhalten, ist obsolet geworden. Zumal Messenger inzwischen auch multimedial funktionieren. Videos beispielsweise gehen potentiell mühelos. Gibt´s demnächst also eine Messenger-Tagesschau und ein WhatsApp-Heute-Journal? Pure Fantasie? Keineswegs: Beim NDR gibt es bereits ein „WhatsInfo“-Format, das beispielsweise die US-Vorwahlen im Messenger-Style zu erklären versucht.

Tendenz: Wenn die These immer noch stimmt, dass man da hingehen muss, wo die Leute sind, dann werden sich Journalisten in nächster Zeit sehr viele Gedanken über das Thema Messenger machen.

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