Medienwandel 14. September 2015

Der große, digitale Graben

by Christian Jakubetz

Der Wandel geht gnadenlos weiter. Eine neue Studie zur Mediennutzung von ARD und ZDF zeigt deutlich die Trends auf. Demnach stehen die konventionell-analogen Medien im Gesamtpublikum immer noch ordentlich da. Bei den 14-29Jährigen ist die Abkehr aber bereits vollzogen…

storytelling
Alles fließt: Der Medienmarkt wandelt sich weiter. Klar ist: Die Welt wird immer digitaler, Grenzen verschwimmen – und für konventionelle Medien besteht die Herausforderung vor allem darin, auf die neuen Geräte zu kommen. (Montage: Jakubetz)

In absoluten Zahlen gemessen scheint die Sache zumindest beim jüngeren Publikum eindeutig: 187 Minuten pro Tag verbringt die Generation der 14-29jährigen mittlerweile durchschnittlich im Netz. Was aber nicht bedeutet, dass diese gut drei Stunden gleichzusetzen wären mit Medienkonsum.

Internet: Das Brutto-Netto-Problem

Im Gegenteil: Wer sich tatsächlich drei Stunden am Tag im Netz aufhält, tut dort die meiste Zeit etwas anderes als Medien zu nutzen. Auf klassische Mediennutzung entfallen bei dieser jüngeren Generation tatsächlich „nur“ 48 Minuten pro Tag, wobei sich allerdings trefflich darüber streiten ließe, was genau jetzt unter Mediennutzung zu verstehen ist. Im klassischen Verständnis würden beispielsweise soziale Netzwerke nicht unter diese Definition fallen. Gleichzeitig ist aber trotzdem klar, dass man auch bei Facebook oder Twitter Inhalte konsumiert, die unter das Genre „Medien“ fallen. Die Tatsache, dass das Web multifunktional ist, macht es also enorm schwierig zu definieren, was die Menschen dort gerade genau tun. Zumindest in den Kategorien, die bisher verwendet werden.

Genau diese Vermischung von Nutzung macht es auch nicht so einfach, wie es der Vorsitzende der ARD/ZDF-Medenkommission, Thomas Bellut, formuliert hat: „Die um den Jahrtausendwechsel so beliebte These, dass Fernsehen ein „Auslaufmodell“ sei, hat sich eindrucksvoll nicht bewahrheitet“, kommentierte der ZDF-Intendant die Ergebnisse der Studie (Hinweis: Die Studie wurde von der ARD/ZDF-Medienkommission in Auftrag gegeben).

Tatsächlich: Rechnet man die Nutzungszeiten im Netz den klassischen Kategorien zu, dann wäre das Netz mit im Gesamtpublikum „nur“ 26 Minuten bei den Medien nach TV und Radio nur die Nummer 3. Laut Studie sähe das dann so aus:

medialesweb

 

Etwas anders sieht das Bild aus, wenn man die selben Zahlen für die 14-29Jährigen abfragt.  In dieser Altersgruppe beträgt der Anteil der Nutzung des „medialen“ Internet immerhin schon 48 Minuten. Größter Verlierer in dieser Gruppe ist die gedruckte Tageszeitung, die es in dieser Altersgruppe nur noch auf 9 Minuten pro Tag schafft.

Das klingt auf den ersten Blick plausibel, ist es aber nur in Teilen. Die Schlussfolgerung wäre nicht zulässig, wenn man daraus ableiten wollen würde, wo journalistische Medien bevorzugt konsumiert werden. Schließlich ist auch das, was in Rundfunk und TV gesendet wird, nicht immer Journalismus. Nüchtern betrachtet ist also der Vergleich mit den Nutzungszeiten nur dann wirklich aussagekräftig, wenn man auch tatsächlich nur über reine Nutzungszeit reden will. Zumindest aber ist umgekehrt wiederum richtig, dass die reine Zeit, die jemand im Netz verbringt, noch nicht sehr viel über den Medienkonsum aussagt. Weil man im Netz tatsächlich auch noch ganz andere Dinge machen kann als Medien zu konsumieren.

Eklatante Verschiebungen bei den jüngeren Nutzern

Trotzdem hält die Studie wichtige Erkenntnisse parat. Auch wenn sie, wenn man sich mit dem Thema etwas genauer beschäftigt, keine echten Überraschungen bieten. Sie zeigen allerdings auf, mit welcher Vehemenz gerade die 14-29jährigen ins Netz gehen. Was möglicherweise sogar ein noch größerer Beleg dafür ist, wie sehr sich die gesamte Gesellschaft (und damit zwangsweise auch die Medien) verlagern. Dass die Studie zu der Erkenntnis kommt, dass bei dieser Generation inzwischen eine Computer-Vollversorgung erreicht ist, gehört noch zu den weniger beeindruckenden Fakten.

Spannend wird die ganze Sache, wenn man die Zahlen im Gesamtpublikum und bei den 14-29jährigen gegeneinander stellt. Denn bei diesen direkten Vergleichen zeigt sich, wie groß der Graben ist, der sich mittlerweile bei den Generationen auftut. Nahezu alles, was im Gesamtpublikum noch als gesetzt gilt, wird von diesem jüngeren Publikum konterkariert.

Beispiel 1: das sogenannte Zeitbudget, mit dem die Nutzung der verschiedenen Medien gemessen wird. Beim Gesamtpublikum ist der Trend tatsächlich noch eindeutig. TV liegt ganz vorne, gefolgt von Radio und dem Netz. Filtert man dabei aber die 14-29jährigen heraus, sieht die ganze Angelegenheit gleich ganz anders aus – das Netz liegt vor TV und Radio.

zeitbudget

Kein Zufall – und auch kein verzerrter und verzerrender Ausschnitt. Das belegt auch ein anderer Wert, nämlich der der täglichen Reichweite. Auch hier das gleiche Bild. TV und Radio kommen im Gesamtpublikum unverändert auf die höchsten Werte. Bei den 14-29Jährigen dreht sich der Trend gerade komplett um. Das Netz liegt hier mit einer Reichweite von 76 Prozent ganz vorne, gefolgt von Radio und TV. Zum Vergleich: Im Gesamtpublikum kommt das TV äug eine Tagesreichweite von 80 Prozent.

Wenn man also behauptet, dass das Fernsehen im Alltag der Menschen eine dominierende Rolle, dann muss man das auch für das Netz so festhalten. Zumindest dann, wenn man diese 76 Prozent Tagesreichweite in der Altersgruppe zwischen 14 und 29 zugrunde legt.

Comments 1
  • Womit wir m. E. aufpassen müssen: Medien haben eine technische und eine inhaltliche Dimension. Beispiel: Wenn junge Nutzer/innen die Heuteshow oder ein Flüchtlingsvideo der Tagesschau „im Netz“ „konsumieren“ – dominiert da gerade das „Netz“ oder das „Fernsehen“? Ich meine jetzt: inhaltlich. Nur um die Sache mal zusätzlich zu komplizieren …

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