Zeitungen, die plötzlich zu einem lokalen Netzwerk werden – eine Utopie oder schon bald Realität? Für diejenigen, die sich mit dem Thema „local web“ beschäftigen, ist das keine Frage mehr: Die Transformation ist bereits im vollen Gange.

Auf den ersten Blick klingt das widersinnig: Das Netz, versehen mit dem Attribut „world wide“, soll jetzt plötzlich lokal werden, kleinteilig, begrenzt auf sehr überschaubare Räume? Was wie eine etwas abwegige Idee klingt, ist allerdings schon seit einigen Jahren zunehmend Realität. „Location based services“ beispielsweise sind ein zunehmend wachsendes Geschäftsfeld. Und auch der hyperlokale Journalismus, über den so gerne und so viel gesprochen wird, spielt sich zum allergrößten Teil im Netz ab. Kann es also sein, dass wir es speziell im digitalen Journalismus mit einem Netz zu tun bekommen, das aus sehr vielen kleinen, mikroskopisch kleinen Netzen besteht? Und dass journalistische Modelle der Zukunft sehr stark mit lokalen Informationen, Services und auch Userinhalten zu tun haben? Dass also, kurz gesagt, die Lokalzeitung irgendwann in den nächsten Jahren zunehmend mehr zu einem hyperlokalen Mikroweb wird?

Bei einigen Regionalzeitungen in Deutschland wird über dieses Thema nicht nur nachgedacht, sondern auch schon umgesetzt. Die „Rheinzeitung“ in Koblenz beispielsweise hat ihr lokales Fotoprojekt „Rheinstagram“, das nicht nur bei der Namensgebung zeigt, an wem es sich als Vorbild orientiert. Auch die Idee ist mit der von „Instagram“ zumindest stark wesensverwandt. Allerdings sind es hier nicht zwingend nur die persönlichen Beziehungen, die aus den Fotografen Freunde werden lässt. Sondern auch die gemeinsame Heimat, das Leitmotiv „Koblenz“ (und Region) zieht sich als Motiv und grundlegende Gemeinsamkeit durch das gesamte Projekt.
Local web conference im Netz
Die „Local web conference“ in Nürnberg hat sich intensiv mit den unterschiedlichsten Aspekten des lokalen Netzes auseinandergesetzt. Alle Beiträge dazu – u.a. auch denjenigen von Marcus Schwarze und Universalcode-Autorin Ulrike Langer – finden sich ab dem Wochenende auf dem Youtube-Channel der „Isarrunde“.

Für Marcus Schwarze, Chef-Onliner und Mitglied der Chefredaktion, steht jedenfalls fest, dass sich die „Rheinzeitung“ in Zukunft noch intensiver mit dem Thema „lokales Web“ beschäftigen muss: „Für uns ist das ein Hinterhof, in dem andere Unternehmen wildern.“ Als Beispiel nennt er „Foursquare“, den momentan weltweit größten LBS-basierten Dienst der Welt. Dieser lokale Hinterhof sei allerdings die Grundlage des Geschäftsmodells für die Regionalzeitungen, sagt Schwarze. Kein Wunder also, dass in den Verlagen die Bemühungen wachsen, dieses Geschäftsmodell auch zu verteidigen bzw. es in die digitale Zeit zu transformieren.
Lokales Netz hat allerdings für die „Rheinzeitung“ auch andere Aspekte. Die Macht der Masse, klassisches Crowdsourcing beispielsweise. Als Exempel führt Schwarze die Bundesgartenschau an, an deren Ende über 3000 Fotos standen. Eine Menge und wohl auch eine Qualität, die eine Redaktion alleine nie hinbekommen hätte. Dabei ist der Wandel zu einem lokalen Webanbieter aus der Sicht des Koblenzer Onlinechefs gar nicht so schwierig, er ist eigentlich nur eine konsequente Weiterentwicklung: „Eine Tageszeitung ist im Grunde schon heute ein lokales Netz.“

Auch Joachim Braun, Chefredakteur des „Nordbayerischen Kuriers“ und frisch gekürter „Journalist des Jahres“, hält das Thema „lokales Netz“ für ein sehr wichtiges – möglicherweise sogar für das relevanteste, mit dem sich Regionalzeitungen in den kommenden Jahren auseinandersetzen müssen: “ „Lokales Netz ist die einzig mögliche Zukunft für regionale Zeitungen“, sagt Braun. Für seine Zeitung nimmt er in Anspruch, bereits etliche Projekte in Planung zu haben. Konkret führt er eine Kooperation mit dem Lokalfußball-Projekt „FuPa“ an. „FuPa“ wurde vor einigen Jahren von Michael Wagner gegründet und ist ein beispielgebendes hyperlokales Projekt. Dort findet sich das Thema „lokaler Fußball“ tatsächlich in einer solchen Breite und Tiefe aufbereitet, wie es in Deutschland bis dahin wohl einzigartig war. Ergebnisse, Tabellen, Berichte, Datenbanken, das alles in einem Umfang, wie es eine gedruckte Zeitung schon alleine aus technischen Gründen niemals abbilden könnte. Braun und seine Zeitung haben einen geschickten Schachzug unternommen: Sie haben sich Technologie und Marke „FuPa“ in einer Kooperation gesichert und stellen jetzt ein eigenes hyperlokales Fußballportal für die Region auf die Beine. So kann hyperlokales Web auch funktionieren.
Braun glaubt allerdings auch zunehmend an die Macht der Daten. Die Zukunft journalistischer Arbeit im Web liege eindeutig auch bei der Aufbereitung von geobasierten Daten, serviceorientiert und nutzwertig. Gleichwohl räumt der Chefredakteur ein, dass es für sein Blatt (wie auch für viele andere) schwierig sei, solche ambitionierten Vorhaben technisch umzusetzen. Die dafür nötigen Fachleute würden sich eher selten bei regionalen Zeitungen melden – und die Arbeit dort auch für wenig sexy halten. Trotzdem hält Braun den Wandel von einem gedruckten Periodikum hin zu einem lokalen Web für unabdingbar. Und sich selbst in seiner Auffassung zunehmend bestätigt: „Letztes Jahr waren auf dieser Konferenz 5 Tageszeitungen vertreten, dieses Jahr sind es dreimal so viele.“ Ein Beleg dafür, so Braun, dass dieses Thema zunehmend an Relevanz gewinne.
Hinter der „Local Web Conference“ steckt maßgeblich der Münchner Michael Praetorius. Die Frage, warum ein lokales Netz mindestens genauso wichtig ist wie ein globales, ist für ihn schnell beantwortet: „Relevanz entsteht oft in meiner unmittelbaren Nähe.“ Es gebe inzwischen „unheimlich viele Ansätze“, bei denen es wichtiger sei, in ein ganz kleines Dorf in der unmittelbaren Nähe zu blicken – als in die ganze Welt. Aus journalistischer Sicht bedeute dies eine zunehmende Bedeutung der Nutzwerte und einer entsprechenden Aufbereitung beispielsweise über geobasierte Karten. Und: Die wachsende Augenzeugenkultur im Netz sichten, verifizieren, in einem neuen Kontext nutzbar machen.
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