Interview 10. April 2012

Journalisten im digitalen Zeitalter: Tweets am Lagerfeuer

by Christian Jakubetz

„Journalisten waren schon immer Moderatoren, Kuratoren und Aggregatoren“: Der Publizist Tim Cole sieht die Zukunft des Berufsstandes in einer Mischung aus Optimismus und Entspanntheit. Im Universalcode-Interview spricht Cole über digitale Lagerfeuer, die zunehmende Mobilität von Medien — und darüber, warum es schon immer „Nachrichtenverhökerer“ gab…


Zuversichtlich: Tim Cole. (Foto: cole.de)

Die „Süddeutsche Zeitung“ nannte ihn mal spöttisch-liebevoll den „Wanderprediger des Internet“. Tatsächlich gehört der deutsch-amerikanische Journalist Tim Cole zu denen, die das Netz und seine Entwicklung schon sehr lange begleiten. Gemeinsam mit dem Berater Ossi Urchs machte er zu den Hochzeiten der New Economy Fernsehen und erklärte den Zuschauern die neue digitale Welt. Ein Blog hat er schon seit 15 Jahren, bei Unternehmen wie der Motorpresse Stuttgart baute er frühzeitig deren digitale Aktivitäten auf.

Um den Journalismus hingegen macht sich Cole wenig Sorgen. Weil die Trends, die momentan als die großen nächsten Sachen im Netz ausgemacht werden, aus seiner Sicht so neu gar nicht sind: Lokale Themen seien schon immer eine ausgesprochen wichtige Sache im Journalismus gewesen. Soziale Medien hingegen kämen lediglich einem „dringenden Bedürfnis“ der Menschen nach. Und die Neuerfindung des Journalismus sei auch nichts Ungewöhnliches: „Ich habe es oft genug erlebt, wie sich der Berufsstand neu erfindet.“   Cole spielt damit beispielsweise auf die Umstellung von Blei- auf Fotosatz an, bei der es vor rund 20 Jahren ebenfalls Befürchtungen für das Berufsbild gab. Damals machte das Schlagwort vom „Redatroniker“ die Runde.

Tim Cole lebt und arbeitet heute in München als Wirtschafts- und Internet-Publizist, Moderator und Trainer. Seine Themenschwerpunkte sind Online-Wirtschaft, Kundenmanagement und Technologieeinsatz in Unternehmen. Seine journalistische Laufbahn startete er u.a. bei den „Stuttgarter Nachrichten“ und der „Bild“, später schrieb er Bücher wie „Erfolgsfaktor Internet“ und „Das Kunden-Kartell“. Letzteres wurde vom „Handelsblatt“ in einer Liste der 100 wichtigsten Wirtschaftsbücher aufgenommen. Gemeinsam mit Ossi Urchs moderierte er Sendungen auf den Nachrichtenkanälen n-tv und N24.

Auch die Tatsache, dass Journalisten zunehmend zu Moderatoren und Kuratoren werden sollen, beunruhigt den 62jährigen Hobby-Marathonläufer keineswegs. Gute Journalisten seien schon immer auch Moderatoren gewesen. Und sie seien schließlich Geschichtenerzähler, daran ändere sich auch in Zukunft nichts. Lediglich die „Lagerfeuer“, um die sich Journalisten mit ihrem Publikum versammeln, seien schon jetzt und in Zukunft andere. „Die Lagerfeuer heute“, sagt Cole, „heißen Twitter oder Facebook.“  Cole hält es deswegen für unausweichlich, dass Journalisten und Medien in sozialen Netzwerken vertreten sind: „Journalisten müssen da sein, wo die Menschen sind.“ Was allerdings soziale Netzwerke für die Nachrichtenhoheit etablierter Medien bedeuten, stehe wieder auf einem ganz anderen Blatt.

Ist die „Kostenlos-Kultur“ im Netz eine Bedrohung für den Journalismus? Cole glaubt: nein.  Nachrichten seien schon früher nicht zu verkaufen gewesen, zumindest nicht im monetären Sinne. Im Gegenteil: „Journalismus war immer das, was man aus der Nachricht, aus der Geschichte macht.“ Dies sei inzwischen und auch in Zukunft die entscheidende Aufgabe und die große Chance für Journalisten: Kommentare, Analysen, Mehrwerte, die „geistige Leistung“ des Journalisten seien die Dinge, die den Berufsstand ausmachen. Copy&Paste-Journalismus habe es auch schon früher gegeben — aber auch schon damals, so Cole, sei dies ja nie richtiger Journalismus gewesen: „Das ist Nachrichten verhökern, was aber leider im digitalen Zeitalter sehr viel einfacher geworden ist.“

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