Digitales Leben, Interview 13. Juni 2018

„Zum Herzeigen ist Print immer noch ziemlich cool“

by Christian Jakubetz

Print oder Digital? Die alte Frage, die die Branche bewegt, ist womöglich gar keine.  Weil das gedruckte Zeug manchmal eben doch ziemlich gut funktioniert. Das – und noch viel mehr – erzählt Holger Schellkopf im Universalcast, Folge 8.

Print Holger Schellkopf
Holger Schellkopf (Foto: Martin Kroll für wuv.de)

Holger Schellkopf ist seit 2017 „Leiter Digital“  und Mitglied der Chefredaktion beim Verlag „Werben & Verkaufen“ in München (eine Tochter des Süddeutschen Verlags). Davor war er Digitalchef und stell. Chefredakteur bei der „Mittelbayerischen Zeitung“ in Regensburg.

Ich hatte unlängst eine interessante Diskussion mit einem Kollegen – und der hat gesagt, das Manko an der ganzen digitalen Medien-Szene sei ja, dass man immer die gleichen Köpfe sieht. Seit 15 Jahren – und selten komme was Neues nach. Ist das auch dein Eindruck?

Ich glaube nicht, dass es immer die gleichen sind. Gott sei Dank. Es wäre ganz schlimm, wenn man jetzt immer noch mit denselben alten Köpfen wie uns reden müsste.

In den vergangenen Jahren hatte man es vielerorts als ausreichend erachtet, dass man die konventionellen Medien irgendwie auch mal ins Netz stellt. Inzwischen stehen wir so vielen neuen Möglichkeiten. Manchmal kommt mir das vor wie eine Neuerfindung des Journalismus. Welche Möglichkeiten siehst du momentan? Wo würdest du sagen: Das müssen wir jetzt im digitalen Journalismus unbedingt machen?

Das ist so einfach wie schwierig gleichzeitig zu beantworten. Erstmal bedeutet das ja nichts anderes, als dass der digitale Journalismus die richtigen Werkzeuge für die entsprechende Geschichte zur richtigen Zeit verwenden muss. Und da gibt es viel mehr, als wir früher hatten. Im digitalen Journalismus begegnen einem immer noch viel zu häufig reine Text-Bild-Geschichten, obwohl es viel bessere Möglichkeiten gäbe, das zu erzählen.

Aber ich bilde mir zumindest ein, dass Themen wie beispielsweise Podcasts oder Bewegtbild sich zunehmend entwickeln und selbstverständliches Handwerkszeug bei Journalisten wird. Ist ja schlimm genug, dass so lange gedauert hat.

Wie sieht das bei euch konkret aus? Gibt es bei euch so etwas wie redaktionelle Leitlinien, beispielsweise wie man eine Geschichte multimedial erzählt? Oder hängt das am Ende des Tages einfach davon ab, worauf jemand Lust hat?

Ich finde es gar nicht schlimm, wenn jemand etwas macht, weil er zu etwas Lust hat. Erfahrungsgemäß macht man das, woran man Spaß hat, besser als das, was man machen muss. Ansonsten ist das aus meiner Sicht ein Planungs-Thema. Das ist jetzt nichts, was Journalisten sexy finden. Aber gerade im Digitalen ist Planung wichtig. Bei einem Text kann ich immer noch hinterher sagen: Ja, ich rufe nochmal an oder ich schaue nochmal nach. Aber wenn ich besondere Formen will, dann muss ich die vorher planen. Ansonsten hängen viele Dinge einfach von den  Themen ab. Eine Erzählform, die zu einem Thema passt, passt zu einem anderen Thema vielleicht überhaupt nicht. Das ist das Schöne und gleichzeitig das Schwierige. Weil man wie ein ungeschickter Handwerker zum falschen Werkzeug greifen kann. Und dann wird aus gutem Willen ein schlechtes Produkt. Das ist es, was wir irgendwie lernen müssen.

Dann kommt man – wie schon seit vielen Jahren – zwangsweise wieder zu der Frag, was Journalisten alles können müssen. Müssen sie alles können?

Nein, sie müssen nicht alles können, aber sie müssen das können, was sie brauchen.

„Wenn man wartet, bis etwas perfekt ist, hat man zu lange gewartet.“

Also doch alles.

Nein. Sie müssen jetzt im Normalfall nichts programmieren können, zumindest nichts auf höherem Level. Aber sie sollten ein Grundverständnis für Programmieren haben, um mit dem Menschen, der programmieren kann, sprechen zu können. Das ist ja auch was, was wir schon seit ewigen Zeiten kennen: Wenn Coder und Journalisten miteinander sprechen, haben beide hinterher völlig unterschiedliche Auffassung von dem, was sie gerade besprochen haben. Ansonsten geht es in erster Linie darum zu wissen, welche Werkzeuge es gibt und welche für was geeignet sind. Man muss nicht alles selber machen können. Aber man sollte wissen,  wer es gut machen kann. Gleichzeitig gibt es ja immer mehr Tools, die einem unheimlich viel Arbeit abnehmen. Deshalb gibt es eigentlich nicht mehr so wahnsinnig viele Ausreden, um solche Möglichkeiten nicht zu nutzen.

Gibt es bei euch in der Redaktion so etwas wie ein Storyboard für digitale Geschichten? Sitzt ihr zusammen und plant die verschiedenen Formate? Oder wird das dann doch relativ spontan entschieden?

Tatsächlich ist es nie so, dass die Geschichten, nachdem sie ja mit sehr unterschiedlichen Timings entstehen, wirklich geplant werden. Aber das finde ich auch nicht schlimm. Man muss Dinge einfach ausprobieren. Wenn ein Startup mit einem Produkt auf den Markt geht, das ihm peinlich ist, dann hat es zu lange gewartet. Ähnliches gilt auch für den Journalismus. Wenn man wartet, bis etwas perfekt ist, hat man immer viel zu lange gewartet. Das ist ja das Schöne am Digitalen. Ich habe immer die Möglichkeiten, die Geschichte weiter zu erzählen.

Aber prallen dann nicht zwei Kulturen aufeinander, die nicht wirklich vereinbar sind? Medienhäuser früherer Prägung – und die sollen sich plötzlich benehmen wie ein Startup?

Klar, das ist schwierig. Das ist ja auch etwas, was man wirtschaftlich geregelt kriegen muss. Ich habe immer mehr Sympathie für den Ansatz, den Russ Media in Vorarlberg verfolgt: zu versuchen, diese ganzen neuen Dinge außerhalb der Organisation hinzukriegen. Und wenn sich herausstellt,  dass es gut geeignet ist, dann spielen sie es ein. Da spricht einiges dafür.

Hast du das Gefühl, dass wir eine Chance haben,  diejenigen die in dieser analogen Szene verhaftet sind, ernsthaft noch mitzunehmen? Oder macht das erst die nächste Generation der Journalisten?

Zum einen ist es aus meiner Sicht Generationen-Thema. Ich habe gerade in meiner Zeit bei der Regionalzeitung fast Sechzigjährige kennengelernt, die im Digitalen geradezu aufgeblüht sind , die alles ausprobiert haben, so dass man die manchmal eher bremsen musste. Aber auch Zwanzigjährige, die irgendwie der Meinung waren, sie machen ein Print-Volontariat. Ansonsten bin ich fest davon überzeugt, dass es eigentlich niemanden mehr gibt, der im analogen verhaftet ist. Kennst du irgendjemanden, der noch das Telefonbuch benutzt?

Aber klar, es wird sicher welche geben, bei denen das nicht mehr funktioniert. Finde ich aber nicht so schlimm. Weil wir nach wie vor gedruckte Medien haben werden. Und wir brauchen Leute, die in Print verliebt sind.

Das bringt uns dann doch wieder auch nach der Frage nach der Zukunft von Print. Mal wieder ganz pauschal gefragt: Machen gedruckte Zeitungen und Hefte noch Sinn?

Zukunft ist ein großes Wort. Ich habe keine Ahnung, was in fünf Jahren ist.  Stand jetzt würde ich sagen: Ja. Ich stelle fest dass jüngere Leute, wesentlich weniger dogmatisch rangehen an das Thema als irgendwie ältere. Die benutzen ein Medium so, wie es für Sie am besten geeignet ist. Das ist natürlich automatisch in den meisten Fällen digital. Es ist meistens mobil und oder immer mehr über Sprache. Aber die haben auch kein Problem damit, etwas Gedrucktes  zu benutzen, wenn es für sie passt. Und schon allein deshalb glaube ich, dass es weiter Printmedien geben wird.  Wenn die gedruckten Medien diesem veränderten Verhalten  entgegenkommen. Also, ein Nachrichten-Produkt macht gedruckt keinen Sinn mehr. 90 Prozent aller Leute wissen ja schon, was da drin steht. Aber natürlich kann ich Sachen verbinden. Print hat immer noch eine bessere Ladezeit als jedes mir bekannte digitale Ding. Wenn ich eine Panorama-Seite aufschlage mit vielen Bildern – dann schlage ich die auf ,und zack, es ist alles da. Ich hab das Display noch nicht gefunden, auf dem das funktioniert. Und, nicht zu unterschätzen: Zum Herzeigen ist das immer noch ganz cool.

Ich habe eine ganze Menge Abos zuhause, lese nach wie vor auch viele Bücher. Ich ertappe mich immer öfter dabei: Wenn mir einer ein gutes Hybrid-Angebot macht, bei dem ich sowohl Print als auch Digital bekomme – dann ist das für mich das Angenehmste.  Eigentlich müsste man doch jedem Medienhaus,  das sich das leisten kann sagen: Macht eine Flatrate, macht sie nicht zu teuer – und dann bietet eure Produkte für jede Lebenslage an.

Ja, glaub ich auch.  Ich finde übrigens das, was man jetzt vom Spiegel gelesen hat, in mehrerlei Hinsicht ganz erstaunlich. Erstens ist mir noch nie – in Deutschland zumindest  –  etwas begegnet, bei dem es in einem Post so viel Transparenz gab. Die haben ja über lange Jahre hinweg ganz schön verloren, was Anerkennung gerade in der Branche angeht. Gleichzeitig finde ich das Modell recht überzeugend. Es muss einfach abzuschließen sein. Kein Mensch hat Lust, sich irgendwie 17 Möglichkeiten auszudenken, was er jetzt machen könnte an der Stelle. Dann macht er das nämlich lieber überhaupt nicht. Ich glaube, dass die Flatrate die Variante sein wird, auf die sich Medienhäuser über kurz oder lang flächendeckend verständigen werden.

Heißt aber doch auch: Jedes Medienhaus braucht mindestens einen richtig guten digitalen Kopf. Einen, der die digitale Welt verstanden hat.  Mein Gefühl sagt mir, dass das immer noch sehr stark von einzelnen Personen abhängt. Und wenn es diese einzelne Person nicht gibt, dann geht alles weiter wie vorher.

Ja, aber das finde ich jetzt auch nicht sonderlich erstaunlich, weil es im Grunde überall so ist. Microsoft wäre ohne Bill Gates nichts. Oder Facebook ohne Mark Zuckerberg. Es hängt immer vom Menschen ab. Ähnliches passiert ja zumindest nach meiner Beobachtung bei Madsack durch Wolfgang Büchner.

Finde ich also erstens nicht überraschend und zweitens ganz und gar nicht schlimm. Sondern das ist etwas, das im Grunde genommen auch für uns als Menschen spricht. Und gleichzeitig ist es ein ganz starkes Signal dafür, dass künstliche Intelligenz zwar einen sehr, sehr großen Sprung machen wird. Aber für den Kern des kreativen Gedanken, dafür braucht es zumindest heute noch Menschen.

Dunja Hayali hat einen ganz tollen Satz gesagt – den man früher für total banal gehalten hätte: Journalismus ist in erster Linie immer noch Handwerk. Ich habe manchmal den Eindruck, dass das Thema Handwerk völlig in den Hintergrund gerät, wenn wir das ganze Digitalisierungs-Thema diskutieren…

Unterschreibe ich zu hundert Prozent! Das hat ja auch etwas damit zu tun, worüber wir geredet haben: Was müssen Journalisten können? Und das ist eben auch das journalistische Handwerk.

Bleibt zum Schluss halt doch wieder die große Frage: Wie verändert sich der Journalismus? Kann es sein, dass er einfach auch auf einem Weg ist weg von der reinen Informationsbeschaffung  hin zum Moderator in einer digitalen Gesellschaft?

Natürlich wird es immer stärker darum gehen, Dinge einzuordnen.  Dinge zu bewerten. Vorhandene Sachen aufzugreifen und zu überprüfen. Das heißt der Inhalt, auf dem man vertrauen kann. Das ist ein wesentlicher Punkt, auf den es im Journalismus ankommt. Am Ende ist Journalismus Wahrheit. Darum geht es.

 


Das Interview wurde für die Web-Fassung eicht redigiert und gekürzt. Das Original findet sich in der eingebetteten Textdatei. Podcast-Abo: iTunes.

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