Bewegtbild? Webvideo? Das war einmal: Die Zukunft der bewegten Bilder hat mit den „Beiträgen“, wie wir sie kennen, nicht mehr sehr viel zu tun. Um genau zu sein: Beiträge und Filme sind dann nur noch ein Teil eines Angebots, das vor allem durch Livebilder sowie 360 Grad bzw. Virtual Reality geprägt sind.

Die Nachricht ist ebenso neu wie wenig überraschend: Ricoh dringt weiter in den Markt für 360-Grad-Kameras vor, die vor allem tauglich für den Massenmarkt sind. Denn das ist eines der wenigen Dinge, die man bisher mit Smartphones nur unter großem Aufwand machen kann. Zwar kann man sein Handy mit ein paar Applikationen auch zum 360-Grad-Gerät umbauen, aber eine wirklich prickelnde Lösung ist bisher noch niemandem eingefallen. Die neue Ricoh setzt genau auf diese Lücke: 360-Grad-Videos für Menschen, die das zwar für eine spannende Technologie halten, deswegen aber nicht gleich vierstellige Investitionen tätigen wollen. Oder sich mit komplexer Technik auseinandersetzen müssen. Die Ricoh kann, wie ihr aktuelles Modell Theta S auch, denkbar einfach bedient werden. Sie ist klein und kompakt und kann mit einer App an das Smartphone gekoppelt werden, so dass man am Ende doch ein Display zur Verfügung hat.
Was aber viel wichtiger ist: Wenn 360 Grad jetzt zu einer Massentechnologie wird, dann wird das auch zu einem sehr spannenden Thema für Journalisten. Aus gleich mehreren Gründen:
- Je mehr 360-Grad-Anwendungen unterwegs sind, desto selbstverständlicher werden Applikationen zum Anschauen. Diverse Browser können das bereits, die YouTube-App kann es, die von Facebook ebenfalls. Kaum vorstellbar, dass 360-Grad-Plugins in Zukunft nicht Standard sein sollen. Spätestens dann kommt as Thema auch im Massenmarkt an.
- Die Kameras kommen in eine Preisklasse, bei denen man nicht mehr sehr lange über die Investition nachdenken muss. Für Beträge zwischen 300 und 500 Euro bekommt man inzwischen ganz passable Kameras. Mit denen produziert man vielleicht nicht gerade Hochglanz, aber zumindest solide.
- Auch die Post-Produktion von 360 Grad ist inzwischen deutlich simpler geworden.
Und noch eine – buchstäblich – Kleinigkeit – spielt eine Rolle. 360-Grad-Kameras sind inzwischen so klein, dass sich die Frage danach, ob man sie eigens einpackt, erst gar nicht mehr großartig stellt. Passt in jede Fototasche in ein kleines Seitenfach. Die neue Ricoh ist sogar nochmal ein Stückchen kleiner als das aktuelle Modell. Wenn man dann noch bedenkt, wie einfach solche Kameras inzwischen zu handhaben sind, dann stellt sich die Frage, on man den Aufwand für ein 360-Grad-Video betreiben will, erst gar nicht mehr.
Trotzdem müssen sich Journalisten ein paar Gedanken machen, wie man 360 Grad vernünftig einsetzt. Einfach nur die Kamera aufstellen und die User mitnehmen an einen Ort, ist zwar eine nette Option, auf Dauer aber auch ein bisschen langweilig. Wie aber erzählt man Geschichten, wenn man gar nicht weiß, wo sich der Zuschauer gerade aufhält?
Bei diesem Thema kommt die zweite Variante ins Spiel: Virtual Reality. Damit lassen sich mittlerweile vergleichsweise einfach zusätzliche Informationen in ein Bild packen. Auch „Bild in Bild“ ist möglich. Wie man das einfach und gut nutzen kann, zeigt dieses Video, bei dem eine US-Journalistin einen verurteilen Todeskandidaten in einem Gefängnis besucht. Im (akustischen) Mittelpunkt stehen die Journalistin und ein Vertreter des Gefängnisses als „Talking Heads“. Der Zuschauer kann bei diesem Gespräch bleiben, er kann sich währenddessen aber auch umsehen. Klar ist: 360-Grad-Storytelliung wird sich, wie alle neuen journalistischen Darstellungsformen, erst noch entwickeln müssen. Aber die technischen und infrastrukturellen Voraussetzungen dafür werden von Tag zu Tag besser.
Neue Dimensionen mit VR
Dabei sind die Dinge, mit denen man bisher beim Thema VR im Alltag arbeitet, noch vergleichsweise simpel. Ein paar Inserts oder zusätzliche Bilder und Grafiken einzubinden, das ist ja noch kein Hexenwerk. Und tatsächlich gibt es derzeit noch eine Menge Dinge, die der Entwicklung entgegen stehen. VR-Brillen beispielsweise, sie sind immer noch häufig unkomfortabel und teuer. Und auch, dass es unterschiedliche Standards gibt, macht die Sache nicht einfacher.
Trotzdem: VR hat das Potential, um Geschichten komplett neu erzählen zu können. Und um User Dinge in einer Eindringlichkeit und Authentizität zu zeigen, die bisher undenkbar waren. Der Journalist Martin Heller spricht deshalb zurecht davon, dass VR kein Medium, sondern ein „Evolutionsschritt“ sei.
Das Web geht live
Apropos Authentizität und Evolutionsschritt: Zu diesen Stichwörtern gehört auch das Thema Livestreaming. Die Parallelen sind offenkundig. Auch bei diesem Thema ist die Tauglichkeit für den Massenmarkt inzwischen erreicht worden. Spätestens, seit es „Facebook live“ gibt, gehören die Aufnahmen mitten aus dem Leben zum Social-Media-Standard. Allerdings gilt auch hier: Die Suche nach den richtigen Formaten und den geeigneten Erzählformen dauert noch an. Daran dürfte sich so schnell auch nichts ändern.
Ein Schritt könnte jetzt mit Periscope gegangen werden. Twitters Streaming-Dienst will sich jetzt mit „Periscope Producer“ vom Smartphone abkoppeln und zu einem „richtigen“ Live-Produktions-Tool werden. Interessant ist das für alle, denen es zu wenig ist, ein Smartphone irgendwo hinzustellen und dann irgendwas schnell zu übertragen.
Wer auch immer technisch das Rennen beim Thema Livestreaming macht: Klar ist, dass sich der Journalismus im Netz dadurch massiv verändern wird. Weil künftig neben dem „echten“ Leben auch ein Echtzeit-Universum im Netz entsteht, das ganz andere Themen als das Thema „Live“ beim Fernsehen haben dürfte. Im TV und auch im Radio ist der Produktionsaufwand für Live-Übertragungen so groß, dass er sich nur für große Ereignisse halbwegs lohnt. Streaming im Netz – das geht hingegen potentiell immer und überall.