Was müssen Journalisten im digitalen Zeitalter können? Ein Thema, das immer wieder diskutiert wird. Welches Handwerkszeug wozu gehört und wer was zum Thema sagt: ein Überblick.

Der Blogger und Journalist Karsten Lohmeyer ließ einen Beitrag los, den er in seinem Blog selber in Kategorie „Polemisch“ packte: „Journalisten, bitte lernt endlich euer Handwerkszeug!“ schrieb er – und meinte damit auch und vor allem, die „Digital-Apologeten“, die momentan verstärkt in der Ausbildung tätig sind. Lohmeyers Vorwurf: „Wir bewerfen sie mit Plattitüden, die die jungen Kollegen schon spätestens im zweiten Semester nicht mehr hören können.“ Zum fehlenden Handwerkszeug gehört für Lohmeyer auch das Thema SEO. Aber eben nicht nur. Es sei, so schreibt er, schließlich ein Unterschied, ob man als Konsument digitaler Medien aufwachse und diese Medien dann eben nur von der Konsumentenseite her kenne. Oder ob man wirklich begriffen habe, wie sie funktionieren, diese gar nicht mehr so neuen und digitalen Medien. Dazu müsse man schlichtweg Handwerkszeug beherrschen. Auch der BR beschäftigte sich in seinem „MedienMagazin“ unlängst mit dieser Frage.
Soweit die Theorie. Aber was soll das sein, dieses Handwerkszeug? Noch dazu in Zeiten, in denen sich die Trends und die Anforderungen an Journalisten in verblüffend hohem Tempo verändern?
Marcus Nicolini leitet bei der Konrad-Adenauer-Stiftung die journalistische Nachwuchsförderung. Im Interview erzählt er, welche Standards dort herrschen und was in seinen Augen eine moderne und adäquate Journalistenausbildung ausmacht. Mehr zur JONA hier.
Unbestritten ist, dass die handwerklichen Anforderungen an Journalisten im digitalen Zeitalter um ein Vielfaches höher sind als in analogen Tagen. Die Rede ist mittlerweile ja gerne von einem multimedial arbeitenden Menschen. Aber was bedeutet das dann konkret und in der Praxis. Eine Übersicht – nicht periodisiert, aber hoffentlich ein vollständiges Anforderungsprofil.
Bewegtbild: Warum jeder Journalist was mit Video können sollte
Es ist noch nicht so lange her, da galt Webvideo als eine Art Fernsehen im Netz. Weswegen Journalisten versucht haben, Beiträge im Netz zu machen, die nahezu exakt so aussehen wie Beiträge im TV. Aber wie das eben so ist: Das Netz ist nicht Fernsehen und einfach mal eben Beiträge rüber zu kopieren ist auch nur so eine mittelgute Idee.
Diese eher simple Feststellung reiht mittlerweile nicht mehr aus, die gestiegenen Anforderungen an das Thema Video zu beschreiben. Neben dem halbwegs TV-ähnlichen Beitrag gibt es inzwischen etliche andere Plattformen, auf denen Video in irgendeiner Form stattfindet: nahezu alle sozialen Netzwerke sind mittlerweile ohne Bewegbild undenkbar. Daneben gibt es Multimedia-Reportagen und andere Erzählformate, in denen Video ein fester Bestandteil ist.
Dazu kommt neuerdings auch noch Livestreaming. Das Übertragen von Bildern in Echtzeit hat sich rasant entwickelt und gehört zu den wichtigsten Trends des Medienjahres 2015.
Was man können sollte: Nicht jeder muss ganze Beiträge bauen können. Aber zumindest wissen, wie man mit der Smartphone-Kamera umgeht, welche Netzwerke welche Videoformate wollen und welche grundlegenden Anforderungen Bewegbild stellt, ist inzwischen journalistischer Standard. Außerdem: Ein Schnittprogramm sowohl auf dem Smartphone als auch auf dem Laptop haben.
Audio: Hör mal, wer da spricht!
Natürlich sind Videos inzwischen auch im Netz die populärste multimediale Darstellungsform. Trotzdem, die Bedeutung von Audios sollte man nicht unterschätzen. Sie naturgemäß deutlich einfacher und schneller produziert als ein Video. Und: Auch der von Skeptikern immer wieder mal totgesagte Podcast feiert inzwischen eine fröhliche Renaissance. Apple hat auf seinem iOS schon seit geraumer Zeit eine eigene App für Podcasts; Google ist gerade dabei nachzuziehen.
Daneben sind Audios – ebenso wie Videos – ein unverzichtbarer Bestandteil von multimedialem Storytelling.
Was man können sollte: Das Smartphone mit einem ordentlichen Mikro nachrüsten (gibt´s schon in der Preisklasse ab ca. 50 Euro). Ein Schnittprogramm auf dem Smartphone haben und wenigstens das kostenlose „Audacity“ auf dem Rechner. Was bedeutet, dass grobe Schnittkenntnisse auch ganz gut wären.
Programmieren: Einhörner, dringend gesucht!
Journalisten und programmieren? Das hätte noch vor ein paar Jahren als absurde Forderung von weltfremden Nerds gegolten. Journalisten sind Storyteller und keine Techniker, hatte man da als Argument zu hören bekommen. Doch so langsam wandelt sich das Bild. Coding wird momentan auch als integraler Bestandteil des Storytellings begriffen. Zumal es natürlich schon auch praktisch ist, wenn man ein komplexes Stück produziert und dabei nicht ständig die Kollegen aus der Technik um Hilfe bitten muss (die es dann eh nicht so hinkriegen, wie man sich das vorgestellt hat). HTML-Crashkurse gibt es inzwischen schon in Hülle und Fülle im Netz. Und auch andere Coding-Sprachen sind kein Hexenwerk. Journalisten mit soliden Programmierkenntnissen, auch Einhörner genannt, wird allgemein momentan eine gute Perspektive prophezeit.
Was man können sollte: HTML. Und im Netz suchen, wo es welches Tutorial für welche Sprache gibt.
Mobile Reporting: Das Leben in Echtzeit
Natürlich lässt es sich darüber debattieren, wie sinnvoll es ist, Dinge, die gerade eben erst passieren, sofort und ungefiltert ins Netz zu übertragen. Allerdings: Die Debatte gab es schon vor über einem halben Jahrhundert, als das Fernsehen damit begann, den Journalismus mit Live-Übertragungen auf eine neue Ebene zu heben. Nichts anderes passiert jetzt gerade auch im Netz: Die Möglichkeit des Echtzeit-Jurmalismus bedeutet, dass Journalisten plötzlich nicht mehr nur über Dinge berichten können, die schön passiert sind.
Allerdings gibt es einen erfreulichen Unterschied zum TV. Dort, wo früher Übertragungswagen mit komplexer und teurer Technik standen, reicht heute schon ein Smartphone aus. Livestreaming ist dank simpler Apps wie Periscope oder Meerkat so einfach und populär wie noch nie geworden, Aber auch Texte können sich mit Liveblogging-Tools in Echtzeit absetzen lassen und streng genommen sind auch Tools wie Twitter oder WhatsApp für Echtzeit-Journalismus geeignet.
Man kann allerdings de facto keinen Echtzeit-Journalismus betreiben, wenn man sich nicht beim Thema „Mobile Reporting“ fit macht. Konkret bedeutet das, die Möglichkeiten eines Smartphone jenseits des Telefonieren zu entdecken. Das ist mittlerweile vergleichsweise einfach, vor allem wenn man an die bereits erwähnten U-Wagen oder ähnlich monströse Dinge denkt.
Was man können sollte: Livestreaming. Liveblogging. Videos, Audios und Texte auf dem Smartphone produzieren. Dort wiederum sollten sich eine Streaming-App, die Apps der sozialen Netzwerke, eine Kamera-App, ein Videoschnitt-Programm und ein Audioschnitt-Programm befinden.
Schöne Aufzählung, die ich gerne noch ergänzen möchte!
Der moderne Journalist muss folgendes können:
– eine Bildgröße den Erfordernissen der benutzen Kanäle zuschneiden
– einen Twitter-Kanal besitzen und regelmäßig benutzen.
– Die Bildauflösung dem Kanal anpassen
– Metadaten vergeben
– Keywords im erforderlichen Umfang verwenden
– ein Storytellingtool bedienen
– interaktive Maps und Timelines erstellen
– eine Infografk erstellen
– Bilder für SocialMedia-Kanäle vorbereiten
– Den Teaser brauchbar für Multichannel schreiben
– wissen wieviel Zeichen eine Überschrift in Facebook, Google+ oder Twitter haben darf.
– einen sinnvollen CTA setzen, falls erforderlich
– wissen wie Hashtags in den unterschiedlichen Kanälen verwendet werden
– Text-, Video und Audioformate kennen und umwandeln
– neben HTML selbstverständlich auch CSS kennen
– die unterschiedlichen Farbräume verstehen
– eine „mobilefähige“ Schreibe und Formatierung beherrschen
– grundsätzlich nur in responsive-fähigen Medien veröffentlichen
Bei weniger sollte er sich einfach Autor nennen und Bücher schreiben!
Das fände ich jetzt sogar schon fast ein bissen viel verlangt. Wie viele gibt es, die das alles können?
Wirklich solide Grundkenntnisse in den genannten Bereichen als Basis vorausgesetzt gepaart mit tiefer gehenden Fertigkeiten – bisher Hunderte!!!! Wer es genauer wissen will muss sich nur mit den Inhalten der modernen Aus- und Fortbildungen für Online-Redakteure und Social Media PR-Manager befassen.
@Lotze: Sehr treffende, ergänzende Informationen. Vielen Dank!