Ein Blick auf ein paar Daten – und schon weiß man, wie lange der eigene Arbeitgeber noch existiert. Eine hübsche Zahlenspielerei, die das Team von Open Data City jetzt anbietet. Eine Spielerei zudem, die zumindest einige überraschende Erkenntnisse zutage fördert. Allerdings: Die Aussagekraft ist trotzdem eingeschränkt. Weil nicht nur die Auflage eine Rolle für die Zukunft einer Zeitung spielt…

Wann erscheint die letzte gedruckte Tageszeitung, wenn die Trends so weitergehen, wie sie sich bisher angedeutet haben? Die Frage ist schon öfter gestellt worden – und es ist nicht das erste Mal, dass jemand versucht, sie anhand von Daten zu beantworten. Das Ergebnis war bisher in den meisten Fällen ziemlich ernüchternd und hatte häufig die Prognose zum Ergebnis, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis in Deutschland wie in vielen anderen Ländern der Welt auch die letzte Zeitung zumindest auf Papier verschwunden sein wird.
Die vom Team von „Open Data City“ entwickelte App kommt zu unterschiedlichen Ergebnissen. Was zum einen damit zu tun hat, dass sie jeweils individuelle Zahlen zugrunde legt und sich zum anderen nicht nur auf Tageszeitungen alleine beschränkt. Allerdings: Es handelt sich bis zu einem bestimmten Grad eben auch nur um eine Spielerei. Weil sie beispielsweise zu dem Ergebnis kommt, dass die Auflage des „Donaukurier“ in Ingolstadt eine Halbwertszeit von rund 800 Jahren hat. Das wäre dann doch ein bisschen zu weit in die Zukunft geschaut, um als ernsthafte Prognose durchgehen zu können.
Allerdings: ein paar Trends lassen sich dann doch rauslesen. Trends, die über den sehr allgemeinen Begriff der „Zeitungskrise“ hinausgehen.
1. Tageszeitung ist nicht gleich Tageszeitung
Wie gut oder schlecht geht es den Tageszeitungen? Die Frage alleine ist schon unsinnig. Weil es darauf keine pauschale Antwort gibt. Die Antwort hängt von mindestens zwei Faktoren ab:
- Art der Tageszeitung (Regionalzeitung, überregionales Blatt, Boulevard)
- Standort
Ein paar Dinge lassen sich als Trends durchaus festhalten. Beispielsweise: In den (Groß-)Städten haben Tageszeitungen weitaus mehr zu kämpfen als in ländlichen Regionen. Im wohlhabenden Süden geht es ihnen besser als in anderen Teilen des Landes. Und: Manchmal ist es schlichtweg vom jeweiligen Titel ganz individuell abhängig, wie es ihm ergehen könnte. Beispielsweise die überregionalen Zeitungen: Demnach brächte es die „Welt“ auf eine Halbwertszeit von 27 Jahren, die FAZ immerhin noch auf 54 Jahre und die SZ sogar auf 75 Jahre.
Dem Boulevard hingegen geht es diesen Trends zufolge deutlich schlechter als den Regionalzeitungen oder den überregionalen Blättern. Die „Bild“ kommt demnach auf eine Halbwertzeit von nur 16 Jahren, ebenso wie beispielsweise der „Express“. Die „B.Z.“ schafft sogar nur 15 Jahre – und selbst vergleichsweise gesunde Blätter wie die „tz“ in München kommen mit 27 Jahren nicht mal in die Nähe von bspw. FAZ oder SZ.
Wie unterschiedlich diese Prognosen und Trends auch von den unterschiedlichen Regionen und der individuellen Situation der Zeitung abhängig ist, zeigt sich bei einem Beispiel aus Nordrhein-Westfalen. Der WAZ-Mediengruppe wird beispielsweise eine Halbwertszeit von nur noch 15 Jahren vorausgesagt. Im beschaulichen Ostwestfalen hingegen kommen das dortige „Westfalen-Blatt“ und die „Neue Westfälische“ auf 68 bzw. sogar 78 Jahre.
Unerreicht sind die Regionalzeitungen im Süden. Der bereits erwähnte „Donaukurier“ ist mit über 800 Jahren zumindest theoretisch fast unsterblich. Aber auch Blätter wie die „Passauer Neue Presse“ oder das „Straubinger Tagblatt“ müssen sich mit jeweils 134 Jahren keine echten Sorgen machen.
2. Magazine: stabil
Da redet alle Welt von der bedrohten Tageszeitung – dabei geht es zumindest den Halbwertszahlen nach den klassischen Magazinen in Deutschland schlechter. „Spiegel“, „Stern“ und „Focus“ kommen nach diesen Berechnungen auf Halbwertszeiten von rund 75 Jahren. Das ist natürlich noch kein Anlass, sich akut Sorgen zu mache. So stabil wie einige Regionalzeitungen insbesondere im Süden stehen sie aber keineswegs da. Geht es bei den drei wichtigsten Magazinen des Landes wenigstens noch halbwegs einheitlich zu, sind die Aussichten bei den klassischen Wochen- und Sonntagszeitungen ausgesprochen unterschiedlich. Die „Bild am Sonntag“ beispielsweise bringt es demnach nur noch auf eine Halbwertszeit von 16 Jahren, die „Welt am Sonntag“ oder die „Zeit“ hingegen haben angesichts steigender Auflagen gar keine.
Manchmal sind Zahlen aber auch schlichtweg irritierend: Die „Bravo“ beispielsweise hat demnach noch eine Halbwertszeit von 8 Jahren, hat aber bereits in den vergangenen einen Großteil seiner Auflage verloren. 1998 kam die Teenager-Postille noch auf knapp eine Million Auflage, Ende 2013 waren es hingegen nur knapp 200.000.
3. Die Auflage sagt nicht viel über die Zukunft
Als die App von „Open Data City“ veröffentlicht wurde, entstanden daraus in den diversen Mediendiensten schnell die Formel: Berechnen Sie hier, wie lange Ihre Zeitung noch lebt. Das aber ist leider eine fatal falsche Formel. Weil die Zahlen eine hübsche Spielerei sind, aus denen sich vor allem die unterschiedlichen Ausgangslagen gut herauslesen lassen. Als Zukunftsprognose sind sie allerdings nicht tauglich. Aus zwei Gründen:
Zum einen berücksichtigen die Zahlen vorangegangene langfristige Entwicklungen nicht. Der Fall „Bravo“ zeigt das überdeutlich. Das Blatt hat bereits so massiv Auflage verloren in den letzten 15 Jahren, dass es ganz sicher nicht erst in 8 Jahren vor der Frage stehen wird, ob es noch weiter rentabel ist.
Zum anderen: Entscheidend für die Zukunft einer Zeitung ist die Auflage nur sehr bedingt. Sehr viel wichtiger sind die Erlöse – aus welchen Quellen auch immer. Speziell bei den Regionalzeitungen also sind es nicht mal so sehr die moderat sinkenden Auflagen, als die Rückgänge bei den Erlösen und dort wiederum bei den Anzeigen, die ihnen zu schaffen machen.
Dritter und letzter Haken an dem Zahlenspiel: Es setzt eine lineare Entwicklung voraus. Legt man aber das betriebswirtschaftliche Modell eines typischen Produktzyklus für eine Prognose zugrunde, dann zeigt sich schnell, dass eine solche lineare Entwicklung nicht zwingend zu erwarten ist.