Interview 31. Juli 2014

Wenn Daten mehr als Worte sagen…

by Christian Jakubetz

Ein Thema, das vermutlich beinahe jede Lokalredaktion in Deutschland in irgendeiner Form betrifft: eine Autobahn, eine viel befahrene Bundesstraße, die zu einem Problemfall wird. So geht es auch der Redaktion der „Heilbronner Stimme“. Durch ihr Verbreitungsgebiet führt die A6 – eine Autobahn, auf der sich immer wieder gehäuft teils schwere Unfälle ereignen. Ein Thema, das sich im multimedialen Zeitalter nicht nur mit Text und Fotos, sondern auch mit Daten aufbereiten lässt.

stimme

 

 

Das Projekt, das dabei herausgekommen ist, zeigt, wie gut sich alle drei Varianten kombinieren lassen. Noch dazu in Form einer der in letzten Zeit zunehmend beliebteren „Scroll-Reportagen“, bei denen sich der User ein umfassendes Bild von einem Thema machen kann.

Mirko Lorenz, Projektleiter Datenjournalismus bei der ABZV, hat dazu der Stimme-Redakteurin Vanessa Wormer einige Fragen gestellt:

Wie seid Ihr speziell auf diese Idee gekommen? Wo lag die Hauptmotivation das Thema so und mit Hilfe von Daten aufzubereiten?

Bei Stimme.de haben wir fast täglich mit einem schweren Unfall auf der Autobahn zu tun. In den letzten Monaten haben sich die Unfälle vor allem auf der A6 gehäuft. Immer mehr Unfälle – dieses Gefühl hat sich vor allem bei unseren Facebook-Usern eingeschlichen. Wir haben das zum Anlass genommen, uns die Unfallzahlen genauer anzuschauen und Unfallschwerpunkte offen zu legen. Uns war wichtig, mit Datensätzen zu arbeiten und diese selbst zu analysieren – und nicht einfach nur Statements bei der Polizei abzufragen, wie man es im redaktionellen Alltag oft tut.

 

Gab es von Anfang an Unterstützung in der Redaktion – oder eher Vorbehalte?

Wir Onlineredakteure sitzen mit den drei Reportern an einem Tisch und arbeiten sehr eng zusammen. Unser Reporter Steffen Heizereder, der sich viel mit Verkehrsthemen beschäftigt, war sofort Feuer und Flamme für das Projekt. Das crossmediale Konzept haben wir zusammen entwickelt. Der crossmediale, datenjournalistische Ansatz hat die Chefredaktion dann auch davon überzeugt, ein wenig Geld in die Hand zu nehmen für die Programmierung. Vorbehalte gab es wenige, weil das Projekt auch in einem vertretbaren Rahmen lag und das Thema A6 eine große Relevanz für uns hat.

 

Wie aufwändig war die Produktion der Story?

Aufwändig an dem Projekt war vor allem, dass wir selten länger als einen halben Tag am Stück daran arbeiten konnten. Wir waren alle zu sehr in der tagesaktuellen Arbeit eingebunden. Unter idealen Voraussetzungen hätten wir das Projekt zusammen mit dem Grafiker und Entwickler in einer Woche umsetzen können. So haben wir knapp zwei Monate daran gearbeitet.

 

Wie ordnen sich solche Stücke in die Gesamtberichterstattung ein?

Wichtig war von Anfang an der crossmediale Ansatz. Es gab eine korrespondierende Print-Serie zur A6, in der wir Themen bearbeitet haben, die in der Datenanalyse zu kurz kamen, z.B. den schlechten Ausbauzustand der A6 oder die Rolle der Lastwagen-Fahrer. Am Ende konnten wir unseren Lesern und Usern ein sehr detailliertes Bild der A6 vermitteln, das sie in diesem Umfang noch nie präsentiert bekommen haben.

 

Welche Reaktionen gab es nach der Veröffentlichung? In der Redaktion und von den Lesern?

In der Redaktion war das Echo sehr positiv. Viele Kollegen waren überrascht von dieser Art der Darstellung und haben gefragt, wie wir das gemacht haben und welche Tools zum Einsatz kamen. Auf digitalem Weg, via Facebook, Twitter und Email, haben wir auch ein positives Feedback von unseren Lesern bekommen. Hier gab es sogar lobende Worte von Leuten, die unsere Arbeit oft und gerne kritisieren. Was man auch nicht unterschätzen sollte, ist die Wirkung in Richtung Behörden und Pressestellen. Bei der Datenrecherche war es manchmal schwer, zu vermitteln, weshalb wir die Daten brauchen und was wir damit machen wollen. Besonders bei der Polizei waren die Vorbehalte groß. Mit dem A6-Projekt haben wir gezeigt, dass wir in der Lage sind, mit den Datensätzen zu arbeiten.

 

Wie würdest Du aus eigener Erfahrung beschreiben, worauf es bei diesen multimedialen, daten-getriebenen Stücken ankommt?

Ich bin Fan von Teamarbeit. Das machen wir in den Redaktionen noch viel zu selten. Bei multimedialen Datenprojekten ist es unerlässlich, in interdisziplinären Teams zu arbeiten: Grafiker, Entwickler und Journalisten müssen auf Augenhöhe miteinander kommunizieren können, am besten an einem Tisch sitzen. Es bringt nichts, Tickets anzulegen oder dem anderen Arbeitsaufträge zu erteilen. Natürlich hat jeder sein Fachgebiet und einer muss das Team koordinieren. Aber solche Projekte erfordern unterschiedliche Fähigkeiten und Blickwinkel – und Freiheiten, die man im normalen Redaktionsalltag eher selten hat.
Aus Sicht einer regionalen Zeitungsredaktion: Wo liegen die Chancen für Daten-Visualisierungen, Apps aus Eurer Sicht?

Viele sagen: Datenjournalismus ist nichts Neues, das machen wir doch schon immer. Das stimmt meiner Meinung nach nur zum Teil. Digitaler Datenjournalismus kann nämlich viel Innovatives in die Redaktionen bringen: Wir sind plötzlich in der Lage große Datensätze zu analysieren, sie zu deuten und zu präsentieren. Wir erschließen uns neue Themen und vielleicht sogar Geschäftsfelder – man denke nur an das große Service-Potential im Bereich von Verkehrsdaten. Gleichzeitig erfordert der Datenjournalismus eine andere Arbeitsweisen von den Redakteuren, eben die fundierte, auf Daten basierte Recherche und die Arbeit in Teams. Ich habe die Hoffnung, dass das unseren Journalismus besser machen kann und wir von den Lesern wieder mehr Relevanz und Glaubwürdigkeit eingeräumt bekommen.

Das Projekt A 6

Redaktion: Vanessa Wormer (@remrow), Steffen Heizereder (@stimmeheize)

Programmierung: Felix Ebert (@femeb)

Gestaltung: Heiko Nicht (@heikonicht)

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