Am Aschermittwoch war alles vorbei: Mit der Münchner „Abendzeitung“ hat eines der traditionsreichsten und bekanntesten Blätter in Deutschland Insolvenz anmelden müssen. Eine Insolvenz, die die Branche stärker erschüttert, als einige andere zuvor. Obwohl es eine Pleite mit Ansage war…

66 Jahre lang hat es die „Abendzeitung“ (AZ) gegeben. Über etliche Jahre hinweg sogar an zwei Standorten. Doch die Nürnberger Ausgabe machte bereits 2012 dicht. In München hingegen läuft der Betrieb immer noch. Und das, obwohl sich in den letzten 12 Jahren rund 70 Millionen Verlust angehäuft hatten. Pro Jahr produzierte das Blatt seither rund acht Millionen Euro Defizit, wie Anteilseigner Johannes Friedmann im Interview mit der Donnerstags-Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ einräumt. Eine Wende sei nicht im Sicht gewesen, obschon im Laufe der letzten Jahre immer wieder mal ein Turnaround angekündigt worden sei. Diese Verluste waren nunmehr offenbar nicht mehr tragbar, zumal hinter der AZ kein großer Konzern, sondern eine Verlegerfamilie steht.
Dabei war die AZ in früheren Jahren einmal der Inbegriff des intelligenten Boulevard. Ein Blatt, mit dem man sich sehen lassen konnte, wenn man es unter dem Arm hat, wie die „SZ“ heute auf ihrer Seite 3 schreibt. Eines, das in den 80er-Jahren sogar zum Vorbild einer ganzen TV-Serie („Kir Royal“) wurde. Man übertreibt nicht, wenn man sagt, dass die AZ über viele Jahre hinweg zum Münchner Lebensgefühl gehörte – weil es niemanden in der Stadt gab, der dieses Lebensgefühl so präzise aufschreiben und wiedergeben konnte.
Ein Niedergang mit Ansage
Trotzdem: Überraschend kam allenfalls der Zeitpunkt, nicht aber die Tatsache, dass bei der AZ die Lichter ausgehen könnten. Bereits im Jahr 2010 wurde die Redaktion um fast die Hälfte ihrer Mitarbeiter verkleinert. Da ahnte man schon, wie schlecht es um das Blatt stehen musste. Die Auflage, die in den besten Zeiten bei über 300.000 Stück gelegen hatte, hielt sich am Ende gerade mal noch über der Marke von 100.000 Stück. Böse Zungen behaupteten schon länger, dass selbst diese Zahl noch geschönt sei und die tatsächlichen Verkäufe nach „harter“ Auflage auch diese Grenze schon unterschritten hätten. Dass die Anzeigenumfänge in den letzten 15 Jahren drastisch nach unten gingen, konnte hingegen jeder sehen, die die AZ in der Hand hatte.
Trotzdem: Die AZ-Insolvenz wird in Medien und Blogs mit nahezu null Häme kommentiert. Im Gegenteil: Die meisten attestieren der Redaktion, zumindest in den vergangenen Jahren wieder sehr vieles richtig gemacht zu haben.“Sie ist – immer betrachtet aus der Sicht eines Düsseldorfers, der sie bei häufigen Besuchen in München in die Finger bekommt – die vielleicht anspruchvollste Boulevardzeitung Deutschlands“, attestiert beispielsweise Thomas Knüwer dem Blatt. Allerdings sei im Digitalen in den vergangenen Jahren zu wenig passiert. Die Webseite sei allenfalls Mittelmaß, die Apps der AZ fänden kaum Akzeptanz und seien zudem auch nicht gut gemacht.
Karsten Lohmeyer hingegen sieht in seinem Blog die AZ-Insolvenz als Menetekel für eine ganze Branche. „Wer jetzt als Verleger noch Geld in der Kriegskasse hat, sollte sich ganz schnell überlegen, wie er sein Haus zum Innovationshaus abseits seiner etablierten Marken machen kann“, schreibt er.
„Spiegel Online“ hingegen hat die Hoffnung für die AZ bereits komplett aufgegeben. Dort findet man einen „Nachruf, der verdammt noch mal keiner sein will“. Gleichzeitig erfährt man dort aber auch, warum es mit der AZ eigentlich doch weitergehen solle: „Denn zu einem gepflegten Münchner Frühstück gehört immer beides: die feine „Süddeutsche“, in der einem der Chefredakteur die Krim-Krise mit dem Wort „Irredentismus“ erklärt. Und die „Abendzeitung“, in der die Grippewelle rollt und man erfahren kann, „was wirklich hilft“.
Diese „feine“ SZ setzt sich ebenfalls mit dem besonderen Wesen der ihr sehr nahe stehenden AZ auseinander: Sie sei „von Natur aus fröhlich“. Sie sieht aber auch, dass die AZ mehr als nur ein Münchner Maskottchen war/ist, sondern auch echte journalistische Qualitäten zu bieten hatte: „Auf dem Höhepunkt ihrer Kreativität, als die Zeitung noch etwas mehr aus dem Vollen schöpfen konnte (die Mittel waren eigentlich immer beschränkt, die Personalnot wurde nur mit Mühe und oft mit originellen Ideen geschickt überdeckt), kam man auch als kulturell interessierter Leser nicht an der Abendzeitung vorbei. Weil die oft unter extremer Zeitnot schreibenden Kollegen wussten, wie man in 50 Zeilen ein ganzes Leben erzählt. Oder in 60 Zeilen die Geschichte eines rauschenden Abends.“
Und sogar die unmittelbare Konkurrenz in München, die „tz“, lässt ihren Verleger Dirk Ippen zu Wort kommen. Ippen äußert sich mäßig bedauernd über die Insolvenz, betont aber, dass er die schwierige wirtschaftliche Lage der AZ für einen „Einzelfall“ halte. Die meisten Verlage in Deutschland seien „wirtschaftlich gesund“. Ippen wird allerdings Interesse an einer Übernahme nachgesagt. Womöglich ist er aber auch einfach nur die letzte Hoffnung für den Verlag. Im SZ-Interview jedenfalls bietet AZ-Verleger Friedmann sein Blatt mehr oder weniger unverblümt dem tz-Konkurrenten an. Insider gehen davon aus, dass eine solche „Sanierungsfusion“ angesichts der bedrohlichen Lage auch beim Kartellamt durchgehen könne. Eine vergleichbare Situation ist zuletzt bei der „Frankfurter Rundschau“ entstanden, die nach ihrer Insolvenz Rettung unter dem Dach des unmittelbaren Konkurrenten FAZ fand.
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