Die einen bereiten den NSU-Prozess auf, die anderen verfolgen die Entwicklung in Afghanistan: Die Süddeutsche Zeitung und die ARD haben zu Beginn des neuen Jahres zwei spannende crossmediale Projekte an den Start gebracht. Sie stehen beispielhaft dafür, wie inzwischen transmediales Storytelling funktioniert.
Zugegeben: Beide Projekte sind gewaltig. Sie erfordern eine Menge an Logistik, Zusammenarbeit, Konsequenz, Ausdauer und redaktioneller Infrastruktur. Auf den ersten Blick ließe sich also leicht sagen: Was sollen wir uns das zum Vorbild nehmen; wir, die wir in einer kleinen oder mittelgroßen Redaktion oder womöglich als kleine freie Journalisten arbeiten, die über solche Möglichkeiten gar nicht erst verfügen?
Die Antwort auf diese rhetorische Frage ist schnell gegeben: Weil beide Projekte zeigen, was multimediales Storytelling heutzutage zum einen möglich macht, zum anderen aber auch erfordert. In erster Linie bedeutet das: Man muss in der Lage sein, die jeweiligen Plattformen zu nutzen und zu vernetzen. Und dazu muss man diese Plattformen nicht nur kennen, sondern sie beherrschen. Sowohl handwerklich als auch theoretisch. Wobei theoretisch in diesem Fall bedeutet, dass man nicht nur ihre Funktionsweisen kennen sollte, sondern auch wissen muss, zu was sie in der Lage sind und zu was ggf. nicht.
Transmedia, Crossmedia, Multimedia
Die Begriffe Multimedia, Crossmedia und Transmedia werden immer wieder gerne verwendet, ohne dabei genau zu differenzieren, was genau was ist. Dabei gibt es dort einige entscheidende Unterschiede. Multimedia bedeutet zunächst einfach nur, dass ein Stück mit mehreren verschiedenen Darstellungsformen präsentiert wird, beispielsweise also mit Text, Videos und Fotos. Dieses Stück hier ist also ein ganz normales multimediales.Beim Begriff Crossmedia kommt zwangsweise immer noch eine zweite Plattform mit ins Spiel. Klassisches Beispiel: Eine Zeitung veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe einen Text und stellt online noch ein Video dazu zur Verfügung (bei einsprechenden Verweisen der beiden Stücke auf die jeweils andere Plattform). Der Begriff Transmedia bezeichnet journalistisches Erzählen einer Geschichte bzw. eines Themas über verschiedene Plattformen hinweg. Dabei werden verschiedene Techniken und Darstellungsformen verwendet. Diese Idee des “multimedialen Storytellings” basiert darauf, dass jeder Beitrag für sich auf jeder Plattform verständlich und konsumierbar sein muss. Dieser Idee steht im Gegensatz zu der crossmedialen Erzählweise, bei der es vor allem darum geht, Inhalte mit multisensorischen Hinweisen auf die jeweilige andere Plattform in vernetzter Form zu erzählen und die verschiedenen Inhalte in einen gemeinsamen Kontext zu setzen. Mehr dazu im Medienwiki des Mediencampus Bayern.
Wobei das Projekt des „SZ Magazins“ eine Darstellungsform ins Spiel bringt, die es in dieser Form bisher im Journalismus nur sehr selten gegeben hat: Sie arbeitet mit Videos dokumentarischen Charakters, oder dabei einen einziges der Protagonisten vor die Kamera zu holen bzw. ohne einen einzigen O-Ton zu haben. Stattdessen wird der von SZ-Journalisten protokollierte bisherige Verlauf des NSU-Prozesses von Schauspielern nachgestellt – oder besser gesagt: gelesen. Man darf sich also keine spontanen Wutausbrüche von Zeugen und einen resoluten Richter vorstellen. Der komplette Film ist entweder in einem Stück zu sehen oder aber in Ausschnitten, je nach Prozesstag geordnet. Die Textversion ist im Heft komplett zu lesen, involviert in das Projekt ist auch süddeutsche.de, wo die Filme abgerufen und Hintergründe zur Entstehung gelesen werden können. Besonders lesenswert ist eine multimediale Reportage über den bisherigen Verlauf des Prozesses und die Hintergründe des NSU. Die Videos sind zudem komplett auf dem Youtube-Kanal der SZ zu sehen.
Zusammengefasst hat die SZ mit ihrer Berichterstattung über den NSU-Prozess ein Musterbeispiel abgeliefert, wie transmediales Erzählen im Jahr 2014 zu Funktionieren hat. Die Stücke gehören zusammen und ergeben ein stimmiges Ganzes, sie verwenden alle denkbaren Genres und können dennoch alle für sich alleine genommen konsumiert werden. Kurz gesagt: Viele einzelne Stücke, die alleine überlebensfähig sind, ergeben dennoch am Ende ein gemeinsames Bild.
Davon ist das Projekt der ARD zum Thema Afghanistan naturgemäß noch ein ganzes Stück entfernt; es steht schließlich erst ganz am Anfang. Das „Afghanische Tagebuch“ soll über stolze zwei Jahre die Entwicklung am Hindukusch abbilden. Natürlich mit viel bewegtem Bild, aber auch mit Text und sozialen Netzen wie Twitter. Zu erreichen ist der Twitteraccount unter @AfghanTagebuch.
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