Noch nie wurde so viel bewegtes Bild gesehen wie jetzt – und noch nie mussten sich Journalisten auf so viele potenzielle neue Formate einstellen wie aktuell. Vom Livestream bis zum 15-Sekünder bei Instagram: Ein Überblick über eine Entwicklung, die vor allem die Formate aus guten, alten TV-Zeiten ziemlich alt aussehen lässt.

Videos haben in den letzten eineinhalb Jahren einen ungeahnten Aufschwung erlebt. Im Netz sind sie inzwischen als Inhalt ebenso selbstverständlich wie unverzichtbar geworden. Dass beim jüngeren Publikum zwischen 14 und 25 die Webvideo-Nutzung mittlerweile bei nahezu 100 Prozent liegt, ist eine Binse. Interessanter ist vielmehr, wie das bewegte Bild gerade die gesamte journalistische Statik des Netzes durcheinander bringt. Neue Formate, neue Ideen, neue Bedeutung – und natürlich auch neue Vermarktung: Um bewegtes Bild in allen seinen verschiedenen Varianten muss man sich inzwischen Gedanken machen. Und zwar solche, die weit darüber hinaus gehen, welche Form eines klassischen Beitrags im Netz angebracht ist. Die Antwort lautet nämlich: keine. Stattdessen: neu denken und entwickeln!
Videos können inzwischen alles sein. Vom Minischnipsel bei „Vine“ über den etwas längeren Schnipsel bei „Instagram“ bis hin zur Personality-Show bei „YouTube“. Sie können live um die Welt gehen, können interaktive Plapperrunden sein.
Nächste Stufe: Videos in sozialen Netzwerken
Auch in den Social-Media-Kanälen dieser Welt geht nicht mehr sehr viel ohne Videos. „Bewegtbild wird immer wichtiger“, sagt beispielsweise die deutsche Facebook-Chefin Marianne Dölz. Und tatsächlich: Wer sich nur mal etwas gründlicher in der eigenen Timeline umsieht, der stellt schnellt fest, wie sehr das Posten von Videos dort zum Standard geworden ist.
Da passt es ins Bild. dass mittlerweile auch Facebook an einem Tool arbeitet, mit dem man sowas wie Livestreaming machen kann. Eine überaus erstaunliche Entwicklung: Noch vor rund einem Jahr waren Tools wie „Bambuser“ und andere Livestreaming-Aps nur einem kleinen Kreis von Eingeweihten bekannt. Von Livestreaming als Möglichkeut des Journalismus sprach damals fast noch niemand. Im Wnter dieses Jahres folgte dann erst der kurze Hype um „Meerkat“, dann kam Twitter-Ableger „Periscope“ – und jetzt eben „Facebook“. Rechnet man dann noch eher stationäre Anwendungen wie Google Hangouts hinzu, dann stellt man schnell fest, wie sehr inzwischen (Live)-Video in das tägliche digitale Leben eingedrungen ist. Da wäre es ziemlich erstaunlich, wenn nicht auch der Journalismus von dieser Entwicklung geprägt würde.
Zumal sich die Nutzung des Netzes und des bewegten Bildes auch bei den Endgeräten drastisch verändert. Die größten Zuwächse kommen aktuell aus dem Bereich Mobile. Dass soziale Netzwerke zunehmend viel und gerne ebenfalls über mobile Plattformen genutzt werden, verstärkt den Trend: Mobil plus Social plus Bewegbild.
Die Weltenherrscher heißen auch beim Bewegtbild Google und Facebook
Erstaunlich wäre es ja auch tatsächlich gewesen, wenn sich die Großkonzerne der digitalen Welt nicht intensiv mit dem Thema Video auseinandersetzen würden. Eine mögliche Livestreaming-App von Facebook wäre nur ein kleines Mosaiksteinchen in einer Strategie, die mittlerweile klar auf das Thema Bewegbild setzt. Facebook selbst lebt inzwischen zunehmend von Videos und deren inzwischen deutlich verbesserten Usability. Google hat mit dem Kauf von Youtube ohnedies auch bei den bewegten Bildern im Netz eine Stellung erreicht, die über Jahre hinaus kaum angreifbar sein dürfte.

Facebook holt allerdings deutlich auf. Schließlich kommt inzwischen mit „Instagram“ ein Portal hinzu, das sowohl in seiner Bedeutung allgemein, aber auch bei seinen Videomöglichkeiten gerne unterschätzt wird. Die „W&V“ hat zwar zehn beispielhafte Accounts deutscher Medien aufgelistet und dort die FAZ gleich neben die Bild und die Bunte platziert. Allerdings: Nach wie vor interessieren sich deutsche Medien für den Kanal, der inzwischen mehr Nutzer hat als Twitter, erstaunlich wenig. „Sie lassen „die Welt im Quadrat“ entweder links liegen oder betreuen sie nur halbherzig“, schreibt die „W&V“. Dabei zeigen dort tatsächlich ausgerechnet „Bild“ und FAZ, dass man auch mit 15-Sekündern Publikum gewinnen und substantiell etwas mitteilen kann.
Auffällig: Unter der Auswahl der „W&V“ befindet sich mit der „heute“ des ZDF nur ein Account eines TV-Senders. Was man getrost als Beleg dafür werten kann, dass ausgerechnet dort, wo das Storytelling mit (bewegtem) Bild zum Kerngeschäft gehört, die Idee von „Instagram“ noch nicht angekommen ist.
Man kenn jetzt auch live streamen. Aber was?
Ein bisschen ratlos sind deutsche Redaktionen aktuell naturgemäß auch noch bei einem anderen großen Thema: Livestreaming. Technisch ist das alles kein wirkliches Problem mehr. Die Frage ist eher: Was genau will man seinen Usern live zeigen? Die Problematik wird verschärft dadurch, dass man auch nicht so recht weiß, wie man ein solches neues Live-Format etabliert und vor allem den Usern kommuniziert, was und wann man streamt.
Notorisch verspielt und experimentierfreudig zeigt sich auch hier wieder der Springer-Verlag. Beim G7-Gipfel im Sommer beispielsweise streamte ein Reporter-Team von den Protestaktionen und auch bei „Bild“ und dem unvermeidlichen Kai Diekmann hat man erste Erfahrungen gesammelt – und wenn es nur die Übertragung der Vertragsverlängerung von Briefeschreiber Franz-Josef Wagner bei der „Bild“ war. Dass künftig aber beispielsweise auch Veranstaltungen wie Pressekonferenzen zunehmend live zu sehen werden, darf fest angenommen werden. Erste Erfahrungen gibt es – und wie sich die rechtliche Lage entwickelt, wird sich auch in absehbarer Zeit klären.