Medienwandel 8. September 2014

Multimedia-Reportagen: Was geht – und was nicht

by Christian Jakubetz

Multimedia-Reportagen – sie sind gerade sehr angesagt. Wer sich allerdings schon mal an diesem Genre versucht hat, stellt schnell fest, dass es dabei einige potentielle Stolpersteine gibt. Ein kleiner Leitfaden: was geht, was geht nicht – und welche Fragen sind noch gar nicht richtig beantwortet…

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Man nehme: ein bisschen Text, ein paar Videos und Audios, eine vergleichsweise einfach zu handhabende Software, fertig ist die Scroll-Reportage. Leider ist das aber nicht so einfach, wie es sich liest. Tatsächlich sollte man sich vorher einige intensive Gedanken machen.

Was gut geht

Man kennt das ja: Ein Thema ist so umfang- und facettenreich, dass es sich kaum zufriedenstellend in den Grenzen bisheriger Darstellungsformen abhandeln lässt. Weil es dazu viele Hintergründe, unterschiedliche Meinungen und Herangehensweisen oder auch Protagonisten gibt. Wenn man also im analogen Leben bisher eine Sondersendung, Themenseiten oder monothematische Magazine gemacht hätte, ist jetzt die multimediale Reportage das passende digitale Adäquat. Kaum anzunehmen, dass ein User eine Multimedia-Reportage von der ersten bis zur letzten Seite vollständig nutzt. Das ist ja auch gar nicht das Ziel. Eine Multimedia-Reportage (die Bezeichnung Reportage ist übrigens irgendwie irreführend) ist immer dann gut, wenn man eintauchen kann, wenn man sie zwar linear nutzen könnte, es aber nicht muss.

Was wiederum bedeutet: Multimedia-Reportagen leben sehr stark von einer Kapitel-Struktur. Die Geschichten sind zwar auf einer Meta-Ebene verbunden, müssen aber auch alleine funktionieren können. Im umgekehrten Fall heißt das: Lineare Erzählformen sind zwar theoretisch machbar. Aber für sie gibt es sehr viel geeignetere Erzählformen als die Multimedia-Reportage.

Was nicht geht

In die Falle tappt man schnell: dass eine Multimedia-Reportage zum Selbstzweck wird. Zum Schaulaufen. Zur Demonstration dessen, was man alles kann. Mit Videos, Audios, Fotos und irgendwelchem interaktiven Kladderdatsch. Da freut sich vielleicht das Journalistenherz, das Herz des Users macht das vermutlich nur sehr eingeschränkt. Vor allem dann, wenn er die zusätzlichen Elemente als Unterbrechung, im schlimmsten Fall sogar als Störung empfindet. Das sagt sich natürlich leichter als es dann umgesetzt wird: Wann ist ein multimediales Element eine Störung, wann ein sinnvolles Element? Faustregeln gibt es dafür nicht.

Was sich aber zeigt: Wenn man eine klassische Reportage machen will, die den Regeln folgt, die es bisher für diese Darstellungsform in den analogen Medien gab, dann macht die Darstellung einer Multimedia-Reportage wenig Sinn. Wer eine Geschichte erzählen will, die ganz klassisch einen Anfang und ein Ende hat, ist monomedial vermutlich besser aufgehoben. Mit einem guten Text, einem guten Audiostück, einem Video. Oder mit einer klassischen HTML-Seite. Wer gerade eine gute, fesselnde Geschichte liest, der will erfahrungsgemäß eine Geschichte lesen. Und nicht zwischendrin drei Videos schauen. Oder sich ein Audio anhören.

Woraus sich ein Grundsatz ableiten lässt: eine linear erzählte Geschichte und multimediale Anwendungen schließen sich tendenziell eher aus.

Die Vorbereitung

Die Erfahrung zeigt: Bei einer Multimedia-Reportage nähert man sich in seiner Arbeitsweise am besten dem Fernsehen an. Ohne ein saubere Planung, ohne eine vorher schon festgelegte inhaltliche Struktur endet ein solch meistens ja doch sehr umfangreiches Projekt schnell im Chaos. Den meisten solcher nicht sauber geplanten Projekte sieht man die mangelnde Vorbereitung schnell an.

Was man also unbedingt braucht: ein Treatment, ein Storyboard. Eine Idee, wie man eine Geschichte erzählen will. Und mit welchen Mitteln. Erst dann kann man frühzeitig sicherstellen, dass man sich zum einen für die richtige Darstellungsform im richtigen Moment entscheidet. Das klingt banal, ist aber erfahrungsgemäß eine komplexe Angelegenheit. Ein simples Beispiel: Zwar rät man inzwischen jedem digital arbeitenden Journalisten, sich Kenntnisse in der Produktion von Webvideos anzueignen. Tatsächlich aber ist keineswegs gesagt, dass ein Video für jedes Thema und jeden Protagonisten die beste Idee ist. Das gilt für jede andere Darstellungsform auch. Gerade bei Multimedia-Geschichten ist man allerdings noch sehr viel mehr als bei Textstücken von seinen Protagonisten und deren Umfeld abhängig. Wenn jemand partout nicht mikro- oder kameratauglich ist, machen Audio und Video eben keinen Sinn.

Dazu kommt: Wenn man eine Scroll-Reportage zusammenbaut, bei der sich dann letztlich ein Video an das andere reiht, stellt sich die Frage, warum man nicht gleich eine Video-Playlist bei YouTube macht. Oder einen ganzen Filmbeitrag. Entscheidend ist also auch die passende Komposition einer solchen Reportage: Ein bisschen Abwechslung, verschiedene Spielarten und ein gewisser Rhythmus sollten schon drin sein. Das wiederum funktioniert nur, wenn man sich schon vorher intensiv Gedanken gemacht hat, wie das Stück später einmal aussehen soll. Einer Geschichte, deren Elemente mehr oder minder zufällig und nach Verfügbarkeit zusammen gestellt wurde, sieht man das meistens auch sehr schnell an.

Die offenen Fragen

Das Genre ist noch jung – kein Wunder also, wenn es momentan noch ein paar offene Fragen gibt, deren Antworten sich womöglich erst im Lauf der Zeit heraus kristallisieren werden. Eine davon ist: die Sache mit dem Lesefluss. Wie packt man eine Geschichte so zusammen, dass sie trotz diverser zusätzlicher multimedialer Elemente noch gut lesbar ist?  Skeptiker wenden bei diesem Format gerne ein, dass sie einen guten Text lieber in einem durch lesen wollen, anstatt permanent von Videos, Audios oder interaktiven Spielereien gestört zu werden.

Daraus resultiert dann auch gleich die nächste Frage: Wie viel Text darf es denn dann sein, wenn man eine Scrolling-Reportage anbietet? Ist so etwas überhaupt noch ein klassisches Lesestück – oder nicht doch eher eines, bei dem Nutzer von Haus aus viele multimediale Features erwarten?

Woraus sich dann auch noch die letzte und womöglich entscheidende Frage ergibt: In welchem Verhältnis sollen Text und Multimedia-Elemente stehen? Sind Videos und Audios bloße Ergänzung zum Stück? Ist der Text also das eigentliche „muss“ und der Rest eher das optionale „kann“? Dürfen Videos und Audios Redundanzen zum Text aufweisen oder sind sie völlig eigenständige Beiträge? Muss man das eine gesehen und gelesen haben, um das jeweils andere verstehen zu können?

Sicher ist dabei bisher nur eines: Multimedia-Rpeortagen sind eine interessante neue Darstellungsform im Netz, die vor allem durch neue Software wie „Pageflow“ vergleichsweise simpel zu erstellen sind. Wann man sie allerdings einsetzt, sollte man sich vorher schon sehr genau überlegen. Ein Allheilmittel und eine Option für alle Fälle sind sie nämlich auf gar keinen Fall.

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