Medienwandel 4. Juni 2014

Die neue Königsdisziplin im Journalismus

by Christian Jakubetz

Es tut sich was im Online-Journalismus: Nach den auffälligen Trends bei den Nominierungen für den diesjährigen Grimme Online Award präsentiert jetzt auch „süddeutsche.de“ ein wegweisendes, neues Projekt. Es heißt „360 Grad“ und der Titel ist dabei Programm: multimediale Geschichten, die alle denkbaren Aspekte einen Thema beleuchten sollen.

china

Auch das ist eine Parallele zu den GOA-nominierten Online-Geschichten. Neben der Multimedialität verlangt auch dieses Format einiges an Raum und Zeit. Keine Spur also schnellem Häppchen-Journalismus. Im Gegenteil: Will man Stücke aus der „360-Grad“-Reihe konsumieren, dann muss man so viel Zeit und Ruhe mit sich bringen wie bei einer klassischen „Seite 3“ der gedruckten Ausgabe. Wenn man also so will, dann ist die multimediale Reportage die Königsdiszilin des digitalen Journalismus.

Den Auftakt macht die „Süddeutsche“ heute mit einem Stück zum 25. Jahrestag des Massakers am „Platz des Himmlischen Friedens“ in Peking. Man muss wohl in diesem Fall tatsächlich von einem Stück der „Süddeutschen“ reden – nicht also von süddeutsche.de oder der „Süddeutschen Zeitung“.  Die Texte beispielsweise kommen zu einem beträchtlichen Teil von Kai Strittmatter, dem China-Korrespondenten des Blatts.  Dafür, dass noch andere multimediale Elemente dazu kommen, braucht es natürlich auch die jeweiligen anderen Abteilungen eines Hauses: Bewegtbild, Programmierung und Web-Design. Was gleichzeitig zeigt, warum solche aufwändigen Stücke für kleinere Häuser so schwer umzusetzen sind: Am SZ-Projekt waren 17 Menschen beteiligt – eine Größenordnung, die beispielsweise für Regionalzeitungen nicht wirklich denkbar ist. Da gibt es meistens nur zwei Alternativen: entweder, man versucht solche Projekte in einem kleineren Rahmen aufzuziehen. Oder man hat das Glück, dass man über einige wenige Kollegen verfügt, die sehr vieles sehr gut gleichzeitig können und dies auch mit einem entsprechend hohen Arbeitsaufwand machen. Beim GOA-nominierten Stück „Arabellion“ der Rein-Zeitung in Koblenz hat man gesehen, dass man sehr wohl aufwändigen, hochwertigen und multimedialen Journalismus machen kann – auch ohne 17 Mann daran beteiligen zu müssen.

Die SZ hat dazu noch einen weiteren Vorteil: Für die Reihe kooperiert sie mit dem ARD-Weltspiegel. Der Trend zu Kooperationen zwischen Zeitungen und öffentlich-rechtlichen TV-Sender setzt sich momentan ohnedies anscheinend durch: Auch das „Hamburger Abendblatt“ hat jetzt eine Zusammenarbeit mit dem NDR bei investigativen Recherchen bekanntgegeben. Eine ähnliche Kooperation besteht bereits zwischen der SZ und dem NDR.

Über eines ließe sich allerdings trefflich spekulieren: Beide, SZ und RZ, haben ihre jeweiligen Online-Chefs Stefan Plöchinger und Marcus Schwarze auch zu Mitgliedern der Chefredaktion gemacht. Könnte es sein, dass solche Projekte unmittelbare Auswirkungen dieser Schnittstellen-Positionen sind?

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