Mobile 6. Dezember 2011

Das Tablet schreit nach neuem Journalismus

by Christian Jakubetz

Mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ ist jetzt auch die letzte große deutsche Printpublikation mit einer eigenen App an den Start gegangen. Gut eineinhalb Jahre nach Start des iPad kristallisieren sich die ersten Strategien und journalistischen Ideen für Tablets langsam heraus.

SZ-Kiosk
Digitaler Kiosk der "Süddeutschen": Kaum eine Zeitung kann es sich inzwischen erlauben, nicht für Tablets zu produzieren. Die Ansätze sind allerdings höchst unterschiedlich.

Es gibt viele Möglichkeiten, auf einem Tablet zu publizieren. Steve Jobs und Apple haben mit dem iPad ein Gerät vorgelegt, dem gerne Attribute wie „Wunder“, „Zauber“ oder „Super“ beigestellt werden. Eine Gebrauchsanweisung, wie man auf dem Tablet am besten publiziert, war naturgemäß nicht dabei. Weswegen jetzt, nach den ersten Grundsatzdebatten um das „ob“ die Diskussionnen über das richtige „wie“ beginnen, Denn so sehr klar ist, dass sich Medien dem Vertriebskanal nicht mehr verweigern können, so sehr ist umstritten, wie man das richtig macht.

Vor allem Printmedien haben eine richtiggehende Qual der Wahl. Sie reicht von einer reinen PDF-Ausgabe bis hin zu aufwändigen Multimediamagazinen. Ein echter Trend ist bisher nicht auszumachen. So unterschiedliche Blätter wie die „taz“, die „FAZ“, die „Abendzeitung“ und die „Neue Westfälische“ haben sich beispielsweise für reine PDF-Ausgaben erschienen. Sie erscheinen zumeist schon am Vorabend, sind in der Regel (und dem Apple-Preismodell geschuldet) etwas billiger als die Printausgaben, dafür eben auch nur reine Reproduktionen des gedruckten Blattes. Kritiker monieren an diesem Modell vor allem, dass es die Möglichkeiten der Tablets und der Onlinewelt komplett ungenutzt lässt und dass es zudem meistens auch keinerlei Verbindungen in die Online-Welt gibt: keine Links, keine Weiterleitungs- und natürlich auch keine Kommentierungsmöglichkeiten. Befürworter halten dem entgegen, dass es bei diesem Modell nur um eines gehen soll: Zeitung lesen. Alle anderen digitalen Inhalte des Unternehmens kann man demnach auf der Website lesen. Strikte Trennung also auch auf dem iPad: hier die analoge Zeitung, dort die digitale und multimediale Webseite.

 

Süddeutsche Zeitung

Vollständige Printausgabe: ja (bis auf Lokalteile außerhalb Münchens)
Aktualisierungen: ja (im Regelfall ab ca. 23 Uhr)
Weiterleitungsfunktion: ja (Mail)
Social Media: nein
Kauf von Einzelausgaben: ja
Preise: 1,59 Einzelausgabe
Rabatt für Print-Abonnenten: bis zum Jahresende 2011 kostenlos
Speichermöglichkeit einzelner Artikel: ja
Multimedia: ja, vor allem Videos, Audios, interaktive Grafiken

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Vollständige Printausgabe: ja
Aktualisierungen: nein
Weiterleitungsfunktion: nein
Social Media:nein
Kauf von Einzelausgaben: ja
Preis: 1,59 je Ausgabe
Rabatt für Abonnenten: nein
Speichermöglichkeit einzelner Artikel: ja
Multimedia: nein

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Vollständige Printausgabe: ja
Aktualisierungen: nein
Weiterleitungsfunktion: nein
Social Media:nein
Kauf von Einzelausgaben: ja
Preis: 2,99 je Ausgabe
Rabatt für Abonnenten: nein
Speichermöglichkeit einzelner Artikel: nein
Multimedia: ja, Videos, interaktive Grafikev

Welt HD

Vollständige Printausgabe: ja
Aktualisierungen: ja (viermal pro Tag)
Weiterleitungsfunktion:ja
Social Media:ja
Kauf von Einzelausgaben:nein
Preis: Monatsabo 12,99, Jahresabo 99,99
Rabatt für Abonnenten: ja, mit Abo-Code für den bezahlten Zeitraum kostenlos
Speichermöglichkeit einzelner Artikel: ja
Multimedia: ja, Videos, Audios, interaktive Grafiken

Der SPIEGEL

Vollständige Printausgabe: ja
Aktualisierungen: nein
Weiterleitungsfunktion: ja
Social Media:nein
Kauf von Einzelausgaben: ja
Preis: 3,99 je Ausgabe
Rabatt für Abonnenten: ja, das Halbjahresabo für das iPad gibt es für 13 € im Halbjahr
Speichermöglichkeit einzelner Artikel: ja
Multimedia: ja, sehr umfangreich, u.a. längere Stücke von SPIEGEL TV, 360-Grad-Fotos, interaktive Grafiken

Die ZEIT

Vollständige Printausgabe: ja
Aktualisierungen: nein
Weiterleitungsfunktion: nein
Social Media:nein
Kauf von Einzelausgaben: ja
Preis: 2,99 je Ausgabe
Rabatt für Abonnenten:ja, für Kunden des digitalen Abos ist der Zugang zur App kostenlos
Speichermöglichkeit einzelner Artikel: ja
Multimedia: ja

taz

Vollständige Printausgabe: ja
Aktualisierungen: nein
Weiterleitungsfunktion: nein
Social Media:nein
Kauf von Einzelausgaben: ja
Preis: 0,79 je Ausgabe
Rabatt für Abonnenten: Solipreissystem…
Speichermöglichkeit einzelner Artikel:nein
Multimedia: nein

Das kann man naturgemäß auch anders sehen. Blätter wie die „Süddeutsche Zeitung“ oder die „Welt“ haben ihre Tablet-Apps deshalb zu Hybridmodellen augebaut. Sie lehnen sich mehr oder minder stark an die Printausgabe an und ergänzen sie mit multimedialen Inhalten. Auch hier gilt: Das Zeitungs-Magazin gibt´s schon am Vorabend und es ist billiger als die Zeitung. Die SZ beispielsweise kostet 1,59 Euro pro Einzelausgabe. Die App der „Welt“ ist ein Sondermodell, es gibt sie nach einer kostenlosen Probephase nur im 30-Tages-Abo. Das wiederum ist mit 12,99 Euro im Monat deutlich günstiger als die der Konkurrenten, zumal im Preis der „Welt“ auch noch die „Welt am Sonntag“ eingeschlossen ist.

Wiewohl alle Apps größerer Blätter in den vergangenen Monaten eher einen Trend zum Multimedia-Magazin belegt haben. Neben der „SZ“ gehen auch die neue App der „Zeit“ sowie der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ eher in diese Richtung. Zudem hat der „Spiegel“ — einer der Vorreiter in Sachen Apps — seine Digitalausgabe nochmals überarbeitet und sie noch mehr auf Multimedia und Interaktion getrimmt. Ausführliche Videos und interaktive Grafiken gehören dort inzwischen zum Standard einer multimedial aufbereiteten Geschichte. Dem „Spiegel“ kommt dabei allerdings zugute, dass er auf extrem umfangreiches Bewegtbildmaterial aus dem eigenen Haus von „Spiegel TV“ zurückgreifen kann.  Wer nicht gerade eine TV-Produktionsfirma im eigenen Haus hat, tut sich schwer, aufwändiges und teures Videomaterial in einer App unterzubrimgen. Dementsprechend sparsam fallen die Videoangebote der meisten Print-Apps im Vergleich zum „Spiegel“ aus.

Naturgemäß einfacher ist die Lage für TV-Sender. In vielen Fällem reicht es aus, vorhandenes Programm nochmal in einer Video-on-demand-Applikation auf eine App zu bringen. Das ZDF hat beispielsweise jetzt seine Mediathek für das iPad passend umgesetzt, viele andere Sender setzen ebenfalls auf teils kostenpflichtige VOD-Angebote (wie beispielsweise RTLnow). Ein Sonderfall ist die umstrittene App der Tagesschau“, gegen die momentan von acht Zeitungsverlagen in Deutschland geklagt wird. Tatsächlich ist die App der „Tagesschau“ mehr als eine VoD-Plattform für Beiträge aus den Sendungen, sondern ein vollwertigs journalistisches Produkt.  Nach Meinung der klagenden Verlage überschreitet die ARD damit ihre Beschränkungen im Netz — öffentlich-rechtliche Sender dürfen nur „sendungsbezogene“ Inhalte anbieten — ganz erheblich. Das allerdings ist eher ein medienpolitisches denn ein inhaltliches Thema.

Auch Radiosender haben es generell deutlich einfacher als Verlage — weil niemand ernsthaft von ihnen erwartet, lange Textstücke und multimediale Anwendungen zu veröffentlichen. Der Schwerpunkt bei den meisten Radioapps liegt immer noch darauf, das Tablet auch als Radio nutzbar zu machen.

Dagegen hat die so genannte Reynolds-Studie aus den USA die Problematik für viele App-Macher auf den Punkt gebracht. Demnach erwartet eine klare Mehrheit der Nutzer eines Tablets von einer App einen spürbaren Mehrwert. Fragt man diese Nutzer dann danach, was genau sie sich unter diesem „Mehrwert“ vorstellen, bleiben die Antworten meistens vage. Soll heißen: Vermutlich haben Nutzer instinktiv eine Ahnung davon, dass ein solches Tablet sehr vieles kann. Deshalb verbinden sie mit dem Tablet auch den Wunsch, dass diese Möglichkeiten auch ausgenutzt werden. Wie das gehen soll und wie man das vor allem in der täglichen Praxis umsetzen soll, ist vielerorts noch eine spannende und ungelöste Frage. Zumal man ja auch weiß, dass multimediale und interaktive Applikationen einen sehr hohen personellen und finanziellen Aufwand erfordern. Trotzdem liegt der Gedanke nahe: Journalismus auf dem Tablet wird künftig sehr viel mehr sein müssen als die Reproduktion eines bestehenden Produkts. Nur was genau sich hinter diesem „sehr viel mehr“ verbrigt, das werden wohl erst die nächsten Jahre in der Praxis zeigen.

Comments 2
  • Beim Spiegel darf man aber nicht vergessen, was alles schlecht an der App ist: Hurensöhne, Schusterjungen, manchmal fehlen Kleintexte. Wer von der Vorschau eines Textes, etwa auf der Panorama-Seite, auf den ganzen Text klickt, muss sich erst neu im Text zurecht finden, da dieser an eine andere Stelle des Bildschirms springt.
    Silbentrennung findet selten statt und wenn dann mitten in der Zeile.

    Was mich am meisten daran ärgert: es sieht so aus, als habe sich das noch nie jemand aus Verlag oder Redaktion angesehen – denn die Mängel sind offensichtlich. In der aktuellen Ausgabe ist sogar im Impressum ein „m“ vor die neue Hausanschrift gerutscht. Peinlich.

    Die Fehler sind so elementar handwerklich, dass ich mich über das bisschen Multimedia nicht wirklich freuen kann – zumal es auch da technische Probleme gibt, etwa der Ton nicht funktioniert. Inhaltlich sind die Videos auch leider nicht komplementär zum Text konzipiert, sondern erzählen – gern als Interview mit dem Autor – die Geschichte nach.

    • Schon richtig, was du schreibst. Das Problem ist in meinen Augen aber tatsächlich, dass es so richtig hinreißend gute Apps in Deutschland noch nicht gibt. Und dass man dem Thema in vielen Häusern bemerkenswert wenig Raum gibt. Und das, obwohl ja immer alle davon reden, wie wichtig und zukunfsträchtig das ist (aktuell versuche ich übrigens gerade, von der SZ-App ein paar alte Ausgaben zu löschen. Das überfordert die App anscheinend.)

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