Medienwandel 4. September 2014

Das ganze Leben ist ein Stream

by Christian Jakubetz

Wie sieht die Nachrichten-Webseite der Zukunft aus? Zunehmend mehr deutet darauf hin, dass es mit der klassischen journalistischen Aufbereitung bald vorbei sein könnte. Selbst ein renommiertes Blatt wie die „NZZ“ hat inzwischen mit neuen Formaten experimentiert – und Erstaunliches herausgefunden…

nzz stream

Twitter macht es, Facebook macht es, eigentlich alle sozialen Netzwerke. In Feed-Readern gilt das Prinzip auch, ebenso in Blogs. Inhalte werden zunehmend öfter als Stream konsumiert. Als ein Strom, in dem eines der Prinzipien des klassischen Journalismus weitgehend aufgehoben ist: Nicht mehr eine Redaktion entscheidet, was wichtig ist und was nicht und was deswegen prominent oder weniger gut sichtbar platziert wird. Die Entscheidung über Relevanz oder nicht Nicht-Relevanz wird zunehmend mehr dem User überlassen. Der es wiederum aus den sozialen Netzwerken inzwischen schon ganz gut gewohnt ist, selbst seine Entscheidung zu treffen. Selbst auf die Suche nach den (natürlich subjektiven) Perlen eines umfangreichen Angebots zu gehen. Inzwischen gibt es auch einige journalistische Angebote, die auf dieses Prinzip setzen. Die renommierte  „Neue Zürcher Zeitung“ hat im vergangenen Jahr mit einem solchen Prototypen experimentiert. Und ist zu einigen interessanten Erkenntnissen gekommen.

Die wichtigste: Die Nutzer, die sich auf diesem Prototypen versammelten, brachten es auf eine längere durchschnittliche Verweildauer als sie auf der klassischen Webseite nzz.ch erzielt wird. Das klingt zumindest auf den ersten Blick widersinnig. Weil man ja eigentlich davon ausgehen könnte, dass sich User auf einem sortierten und aufbereiteten Angebot wohler fühlen würden als in einem vermeintlichen Durcheinander. Über die Gründe dafür, warum das nicht so ist, ließe sich vermutlich nur spekulieren. Trotzdem: Es ist natürlich interessant, dass dem eben nicht so ist. Ganz besonders auffällig ist diese Veränderung auf Tablets: Hier konstatierten die Zürcher eine Steigerung von 60 Prozent bei der Verweildauer. Zudem wurden viermal so viele Beiträge angesehen wie auf dem klassischen Webangebot.

Nachrichten als Stream
  • Der Werkstattbericht der NZZ bei „Vocer“
  • Time.com
  • http://www.nbcnews.com

Die zweite wichtige Erkenntnis hängt mit der ersten eng zusammen. Nämlich: Die Nachrichten als Stream isst – bisher zumindest – nur etwas für ein sehr digitalaffines Publikum. User, die dazu tendieren, journalistische Inhalte auf traditionellen Kanälen, bevorzugen auch im Netz die klassische Darstellung.

Als eigenständiges Angebot wird „NZZ Stream“ mittlerweile nicht mehr weiterentwickelt. Was bleibt, ist dennoch die Erkenntnis, dass möglicherweise die klassische, sortierte Webseite zumindest zu hinterfragen ist.

 

 

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