Meinung 18. Oktober 2012

Was tun, wenn es blitzt, piept, twittert?

by Christian Jakubetz

Wie ist das jetzt eigentlich mit dem Journalismus und den Computern? Und lohnt es sich überhaupt noch, diesen Beruf zu ergreifen? Wolf von Lojewski hat u.a. darüber beim diesjährigen Mainzer Mediendisput gesprochen – und einige bemerkenswerte Antworten gegeben. Auszüge aus seiner Rede zu den beiden Themen Online und Zukunft des Journalismus.

Mehr von Lojewski lesen? In „LIve dabei“ erzählt er aus seinem langen Journalistenleben.

„Da kam einer dieser mathematisch schon etwas beängstigenden Geburtstage auf mich zu, und freundliche Kollegen, vor allem Kolleginnen riefen an, um mich nach diesem und jenem zu befragen. So in der Art „Was macht eigentlich…?“ Da ist die Versuchung groß, etwas Kluges zu sagen. Und so äußerte ich mich besorgt über die Schwärme und Stürme im Internet, in den sozialen Netzwerken, bei Facebook, über das blitzschnelle Urteil der Internetgemeinde und die Gefahr, dass dem Journalisten am Ende nichts mehr bleibe als hinterher zu schwimmen.

Im Nachhinein erscheint mir meine Expertise etwas mutig und erinnert mich an die tägliche Programmkritik früher im NDR. Da gab es einen Kollegen, der lief immer dann zu ganz großer Form auf, wenn er von vornherein klarstellte, dass er die Sendung, zu der er jetzt mal etwas Grundsätzliches sagen wolle, leider nicht gesehen habe. Aber dann ging es Schlag auf Schlag, und die Autoren senkten die Köpfe . . .

So will auch ich gleich zugeben, dass ich kein Mitglied in sozialen Netzwerken bin. Meine Bildung – um es mal so zu nennen – ist strikt aus zweiter Hand. Im Zweifel aus den Medienseiten der Zeitungen. Und wenn ich heute lese, höre und schaue, fühle ich mich ja auch immer noch gut bedient und umfassend informiert.

„Das System will mir seinen Willen aufzwängen“

Auch will ich mich nicht mit dem Computer anlegen. Er ist schlauer als ich. Jeden Tag entwickelt er sich weiter, was ich an mir nicht feststellen kann. Natürlich verbringe auch ich viel zu viel Zeit im Internet, und mir fällt mir auf, dass das System mir mehr und mehr seinen Willen aufzwingen will. Zum Beispiel, wenn es schon nach den ersten Klicks auf der Tastatur genau weiß, was ich suche. Das heißt, eigentlich interessiert es sie gar nicht, was ich wissen will, schon klärt mich die schlaue Maschine auf, was im Zusammenhang mit diesem Namen oder Begriff wichtig ist oder „angesagt“, – wir nannten das früher „relevant“. Also in Sekundenschnelle bekommst Du Antworten auf Fragen, die Du gar nicht gestellt hast, von denen Du aber sicher sein kannst, dass eine Mehrheit sie in diesem Zusammenhang stellt. Möglicherweise suchst Du ja das Gleiche. Falls aber nicht, dann läufst Du Gefahr, dass Dein Problem irgendwie abseitig ist.

Was also tun, wenn es blitzt und piept und twittert? Die bedenklichen Aspekte zu regeln, ist Aufgabe der Politik – soweit sie das überhaupt noch kann. Mich interessiert daran, wie wir – die Journalisten – in so blitzschnellen Zeiten mit dieser Technologie umgehen. Es erinnert an die moderne Luft- und Raumfahrt, wo ja die technischen Möglichkeiten schon lange grenzenlos sind, und als einzige Schwachstelle im System der Mensch ermittelt wurde. So verzichtet man mehr und mehr auf den Piloten im Cockpit, weil er bei solcher Geschwindigkeit ohnehin nicht mehr in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen, und lässt die Maschine unbemannt fliegen.

Besonders mutige Zukunftsdeuter rechnen schon mit der Möglichkeit, der Computer könne den Journalismus bald ganz ersetzen und aus den Stichworten der jeweiligen Stürme in den sozialen Netzen einen dazu passenden aktuellen Brei zusammenrühren.

Also: Auf dem Schirm blitzt ein Gerücht oder eine Nachricht auf, und Hunderttausende oder Millionen Daumen gehen hoch oder zeigen nach unten. Haben wir dann noch den Mut und das Selbstvertrauen, Halt zu rufen, wenn uns die Geschichte noch etwas mulmig erscheint? Schon Mao hat doch gelehrt, dass Millionen oder gar Milliarden nicht irren können. Allerdings lehrt uns deutsche Geschichte – um das nur mal ganz zart einzuflechten –, dass dies doch möglich ist.

Wolf von Lojewski

Der 75jährige Wolf von Lojewski ist einer der renommiertesten deutschen Fernsehjournalisten. Er arbeitete sowohl für die ARD als auch das ZDF und war u.a. als Korrespondent in den USA und Großbritannien tätig. Einer breiten Öffentlichkeit wurde er als Leiter und Moderator des „heute-journal“ im ZDF bekannt.  Lojewski erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Bayerischen Fernsehpreis 2008.

Bei den vielen Tugenden und Stärken, die wir Journalisten nun einmal haben – sehe ich eine gewisse verführerische Schwäche. Das Schwimmen gegen einen schon allgemein verfestigten Trend, ist nicht unsere große Leidenschaft. Ja, wir sind mutig, uns mit den Mächtigen anzulegen, aber wir scheuen in unserem Urteil die Einsamkeit.

Und wie die Computer reagieren auch wir auf Stichworte. Um das mal an einem ganz harmlosen Beispiel zu verdeutlichen. Am Hamburger Flughafen wurde eine neue Form der Sicherheitskontrolle getestet: der sogenannte Körperscanner. Das Gerät schaut dem Passagier nicht nur unter die Kleidung sondern gleich auch unter die Haut. Das Echo in den Medien war verständlicherweise groß. Die Stichworte, unter denen wir auf solch ein Thema anspringen, waren zahlreich, ernst zu nehmen und hoch aktuell. Gesundheitliche Schäden durch noch unerforschte Strahlung waren dabei die geringste Sorge. Eher schon der Datenschutz, der Schutz einer sehr intimen Sphäre, die Furcht vor dem „gläsernen Menschen“. Denn solch ein Gerät könnte ja nicht nur Sprengstoff entdecken sondern auch Auskunft geben über die Größe der Leber oder über schwarze Flecken auf der Lunge. Und wenn solche Informationen der Passagiere an die Krankenkassen oder gar an den Arbeitgeber weitergeleitet würden, es wäre für den einzelnen eine Katastrophe. Die Krankenkassen könnten uns ausmustern, die Firma entlassen, die Bank – des zweifelhaften Gesundheitszustands wegen – den Kredit fällig stellen.

Es geschah zu einer Zeit, da ich mehrfach in Hamburg zu tun hatte, und jedes Mal stand ich beim Rückflug vor der Wahl, mich nach der klassischen Methode kontrollieren zu lassen oder eben nach der neuen, ganz tollen oder eben bedenklichen. Aus Neugier entschied ich mich immer für das Bedenkliche, und jedes Mal musste ich – und mussten die meisten Passagiere – hinterher noch einmal zur Nachkontrolle. Das Gerät hatte an Stellen meines Körpers Kritisches entdeckt, an denen selbst der dämlichste Terrorist keinen Sprengstoff verstecken würde. Zum Beispiel beim Tragen eines T-Shirts am offen sichtbaren Unterarm. Ich erklärte den Kontrolleuren: Euer Gerät spinnt, und das erzählte ich auch zwei hochgeschätzten Kollegen, die einen gewissen Einfluss auf die Inhalte aktueller Fernsehprogramme haben

Verdämmern Sie die Chancen nicht vor dem Computer!

Wir leben nun einmal in einer Zeit der schnellen, einfachen Antworten. Alles Komplizierte hat es schwer. Platon hatte gut reden, als er seinen Schülern dozierte: Du kannst nicht denken, wenn Du es eilig hast! Er hatte die Gnade einer viel, viel früheren Geburt. Heute ist es nicht nur schwer, allzeit die Wahrheit aufzuspüren und zu belegen. Es ist auch schwer für komplizierte Wahrheiten, das große Publikum zu finden. Pathos, Emotion und Vorurteile haben es leichter. Aber gerade darin wird sich dauerhaft die Stärke des Journalismus zeigen, dem Publikum das sichere Gefühl zu geben: Wenn etwas Wichtiges passiert, dann muss man den und den Sender einschalten oder die und die Zeitung lesen. Die plappern nicht das Übliche nach, die wollen wissen, was da los ist.

Aber eins – trotz aller schwermütigen Gedanken und hoffentlich voreiligen Sorgen – will ich den Jüngeren unter uns aus der Tiefe meines Alters noch mit auf den Weg geben: Unser Beruf ist immer noch der interessanteste, den es gibt, und die größte Chance eines Menschen, die Welt zu erleben. Verdämmern Sie diese Chance nicht am Computer!“

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