Wenn es einen Journalisten gab, der in den vergangenen zwei Jahren immer wieder im Gespräch war, dann war es Richard Gutjahr. Der Wahl-Münchner fiel nicht nur durch pointierte Meinungsäußerungen auf, sondern auch durch spektakulären Journalismus. Gutjahr stand vor dem Apple Store in New York Schlange oder berichtete von den Unruhen aus Ägypten. Im Gespräch wiederholt er denn auch sein Credo für Journalisten:“ Lasst euch nicht runterziehen von den Miesmachern und den Neinsagern. Das sind nicht die Menschen, die euch weiterbringen.“

Auf den ersten Blick wirkt es ja ein wenig skurril: Richard Gutjahr ist vom „Medium Magazin“ bei der Wahl zum „Journalisten des Jahres“ als Newcomer ausgezeichnet worden. Dabei hat der DJS-Absolvent schon ein beachtliches journalistisches Vorleben hinter sich. Der Titel Newcomer ist vermutlich dennoch berechtigt. Denn das, was Gutjahr in den letzten zwei bis drei Jahren gemacht hat, hat mit dem Radio- und TV-Moderator nicht mehr sehr viel zu tun. Warum das so ist und was von Gutjahr in Zukunft zu erwarten ist, verrät er im Interview.
Richard, erst mal sehr verspätet: Glückwunsch zum Titel „Journalist des Jahres“, den du vom „Medium Magazin“ bekommen hast. Wie wird man sowas eigentlich, noch dazu als „Newcomer des Jahres“? Kann man das planen?
Ehrlich gesagt, ich wusste nicht mal, dass ich nominiert bin. Das habe ich erst erfahren, als mich im Dezember die Chefredakteurin Annette Milz anrief. Was mich besonders gefreut hat: Das ist kein Grüßaugust-Preis, sondern da hat wirklich eine Jury mit 70 Journalisten ausgewählt. Da waren dann auch richtig große Namen dabei. Ich habe später mitbekommen, dass ich der zweitjüngste war, der jemals mit diesem Preis ausgezeichnet worden ist, da fühlte ich mich dann doch gleich wieder viel wohler. Zum anderen ist es ja auch so: Ich glaube, dass ich mich durch meinen eigenen Wandel in den letzten Jahren nochmal neu aufgestellt habe. Obwohl ich ja auch schon ein journalistisches Leben vor dem Web hatte, bin ich durch diese ganzen neuen Dinge vermutlich nochmal ein Stück gewachsen.
Du wärest ja eigentlich prädestiniert gewesen für eine Laufbahn als gesetzter öffentlich-rechtlicher TV- oder Radiojournalist. Du hast nachmittags bei Bayern 3 moderiert, machst die Nachrichten im TV-Abendprogramm. Warum hast du das alles eingeschränkt – damit du dann Blogger werden kannst?
Es gibt eine sehr schöne Karikatur, bei der zwei Finanzbeamte nebeneinander hocken und der eine sagt zu dem anderen: „Irgendwann werde ich da sitzen, wo sie heute sitzen“. Das machte mir dann doch ein wenig Angst. Ich dachte mir, dass ich noch etwas zu jung bin, als dass ich jetzt auf eine vorgezeichnete Laufbahn in unserem Haus setzen sollte. Wir leben gerade in einer so spannenden Zeit, in der sich die Medienwelt so verändert, dass der Erhalt des status quo kein erstrebenswertes Ziel ist. Hinzu kommt, dass ich zwar schon etwas älter bin, aber eben noch nicht so alt, dass ich nur noch fünf oder zehn Jahre zu arbeiten hätte. Vermutlich müssen wir ja alle mal arbeiten, bis wir 100 sind. Deswegen gibt´s in dieser langen Zeit noch einiges kennenzulernen.
Gibt´s das überhaupt: zu alt für etwas Neues zu sein?
Nein, glaube ich nicht. Ich habe sehr viele Kollegen kennengelernt, die haben sich sozusagen emanzipiert von ihrem Alter. Ich kenne beispielsweise einen Cutter, der ist so um die 60. Der hat sich zuhause ein kleines Studio und arbeitet mit Avid und dem ganzen Zeug besser als jeder junge. Und ich hab´einen Nachbarn, für den muss ich neuerdings immer Pakete annehmen, weil er irgendwelche Sachen bei Amazon bestellt oder bei Ebay ersteigert hat. Der ist Mitte 70. Es ist, glaube ich, einfach keine Frage des Alters mehr, wenn man das Netz zu schätzen weiß.
Wenn du losziehst als Journalist, dann machst du ja so ungefähr alles. Du filmst und du machst Audios und du schreibst und fotografierst. Da drängt sich schnell der Gedanke an die eierlegende Wollmilchsau auf und natürlich auch die Frage: Kann man das alles beherrschen als Journalist? Muss man es sogar? Oder ist das eine Illusion und du bist einfach die berühmte Ausnahme, die wie immer die Regel bestätigt?
Müssen tut man gar nichts, aber ich finde man sollte. Man sollte sich zumindest für all diese neuen Technologien und Werkzeuge interessieren…
…die du in deinem Blog jetzt mal als eine Art „Kulturbeutel“ abgebildet hast…
Ja, der Kulturbeutel, das war interessant. Ursprünglich hatte ich ja nur nach einem Beutel gesucht, mit dem ich das ganze Zeug transportieren kann. Später fiel mir auf, dass es ja tatsächlich eine Kulturtechnik ist, mit der wir es hier zu tun haben. Klar wird man übrigens früher oder später feststellen, was einem liegt und was nicht. Aber dass man sich diese Dinge wenigstens mal anschaut, wenn man sein Geld irgendwie mit Medien verdienen will, darüber darf man doch gar nicht diskutieren.
Nicht nur anschauen, sondern auch ausprobieren: Du hast ja im Schlusswort von „Universalcode“ geschrieben, die Leser sollen das, was sie im Buch gelesen haben, gleich wieder vergessen und einfach mal selber was versuchen. Zugegeben, im ersten Moment bin ich etwas zusammengezuckt, als ich das in deinem Manuskript gelesen habe…
Ich wollte mit diesem Gag am Anfang – der aber mehr war als nur ein kleiner Aufreger – die Leser dazu animieren, sich von möglichen technokratischen Haltungen zu lösen. Ich glaube, man muss das Große und Ganze sehen und nicht irgendwelche kleine technischen Details. Ich kann beispielsweise nicht codieren, HTML ist ein Buch mit sieben Siegeln für mich. Trotzdem habe ich es geschafft, mein Blog aufzuziehen. Wenn man sich traut, auch mal loszulassen und mit etwas mehr Lust auch am Scheitern heranzugehen, muss man sich auch nicht stoisch an das halten, was andere vorgeben. Ich finde, die Zeit, in die wir nun mal hereingeboren sind und die Tools, die uns zur Verfügung stehen, ermöglichen und enorm viel. Wir können Dinge nicht mehr einfach nur im Kopf herumtragen, sondern auch ausleben. Wer eine gute Idee für einen Buch oder einen Film oder sonstwas hat, der hat keine Limits mehr. Deswegen dieser Satz im Buch: geht da spielerisch dran, befreit euch von den vermeintlichen Vorschriften.
„Ich bin in den letzten zehn Jahren schon dreimal rausgeschmissen worden.“
Nun gibt´s ja auch Kritiker, die sagen: Der Gutjahr, der tut sich leicht, der hat einen festen Job beim BR, muss sich ums Geld keine Sorgen machen und spielt halt in seiner Freizeit ein bisschen rum… “
Diesen Leuten sage ich gerne, dass ich ein solches Argument nicht gelten lasse. Einfach aus dem Grund, weil ich in den letzten zehn Jahren, die ich jetzt beim Bayerischen Rundfunk arbeite, schon dreimal rausgeschmissen wurde. Und zwar von heute auf morgen. Und da gibt´s kein Sicherungsnetz, da wird vielleicht noch ein paar Wochen weiterbezahlt und dann hast du die selben Existenzängste wie jeder andere Freiberufler auch. Das letzte Mal ist noch gar nicht so lange her…
…über die Hintergründe ließe sich jetzt natürlich gut spekulieren….
Ja, aber wie dem auch sei: Das, was ich zu diesen Themen sagen, passiert nicht aus irgendeiner erhabenen Position heraus. Jeder, der mich und meinen Hintergrund kennt, weiß, dass das partout nicht so ist. Ich bin sicher in den letzten Jahren mutiger geworden. Aber das ist auch so eine Art Selbstverteidigung oder Überlebenswille, angesichts dieser neuen Welt, die da gerade über uns hereinbricht. Ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten, wenn da so viele neue Dinge passieren und wir sitzen daneben und sind zur Passivität verdammt. Ich will einfach tun und machen. Und wer weiß, vielleicht ist dann bei den vielen Sachen, die ich mache, was dabei, was mir dann einen neuen Job beschert. Spannend ist ja auch, dass die meisten Menschen, denen ich begegne, mich inzwischen nicht mehr aus dem Fernsehen, sondern aus dem Web kennen. Und auch diesen Preis, den ich jetzt bekomme habe, den habe ich sicher nicht erhalten, weil ich so schön Texte vom Teleprompter ablesen kann.
Ich habe nachgeschaut: Von besonders gutem Telepromptertextablesen stand da tatsächlich nichts…
Aber das ist auch eine gute Gelegenheit, mal eine generelle Geschichte anzusprechen. Ich bin ja weder Web-Journalist noch fühle ich mich als Fernsehjournalist oder als Nachrichtenjournalist. Ich bin einfach nur: ein Journalist. Ich arbeite gerne auf allen Plattformen, die für eine Geschichte nützlich sind. Das ist mal eher das Web und manchmal eher das klassische One-to-many-Medium Fernsehen. Das setzt sich täglich neu zusammen. Ich sehne einfach den Tag herbei, an dem wir nicht mehr zwischen alten und neuen Medien unterscheiden, sondern einfach nur zwischen gutem und schlechtem Journalismus. Ganz egal, auf welchem Kanal er gerade läuft.
Machen wir ein bisschen praktische Lebenshilfe mit Richard Gutjahr. Wenn ich heute nochmal 20 wäre und käme zu dir und würde sagen: Ich will Journalist werden. Was würdest du mir sagen?
(lacht) Wie geil…ich würde wahnsinnig gerne mit diesem jungen Menschen tauschen. Aus einem einfachen Grund: Wenn ich die Dinge, die ich heute weiß, schon als 20jähriger gewusst hätte, dann hätte ich noch ganz andere Dinge gemacht. Aber der Zug ist noch lange nicht abgefahren, wir stehen ja erst ganz am Anfang dieses epochalen Umbruchs. Dass es ausgerechnet die Jungen sind – Mark Zuckerberg, Larry Page – die den alten Tycoonen gezeigt haben, wo der Hammer hängt, sollte eigentlich ein Ansporn sein. Die jüngere Geschichte spricht Bände. Deswegen würde ich jedem 20jährigen einfach nur gratulieren und ihnen raten: Macht euer Ding. Sucht euch gleichgesinnte Menschen, die cool sind und mit denen ihr Bock habt, was zu machen. Lasst euch nicht runterziehen von den Miesmachern und den Neinsagern. Ich habe das selber leider auch erst spät gelernt. Das sind nicht die Menschen, die euch weiterbringen.
Würdest du jemanden auf einen neuen Kontinent folgen, der nicht mal die Landessprache spricht?
Reden wir doch aber auch mal nicht nur über die Kollegen, die jetzt gerade an den Start gehen. Sondern auch von denen, die keine Anfänger mehr sind, allerdings auch keine echten digital natives. Und die jetzt aber noch mal 20 oder 30 Jahre zu arbeiten haben. Und die sicher nicht mehr so weitermachen können wie bisher. Was sagt man dann denen?
Sieh dich mal um, wer sich erfolgreich einen Namen gemacht und sich im Netz fantastisch positioniert hat. David Pogue von der New York Times, der geht auch auf die 50 zu, aber der hat sich im Netz zur absoluten Supermarke gemacht. Der macht Kolumnen, der macht Videoblogs, der macht Bücher. Das hätte der alles ohne das Web nicht gemacht. Oder denk an Jeff Jarvis. Wir kennen doch alle diese Leute, die ihre Sachen auf den unterschiedlichsten Kanälen einfach gut rüberbringen. Aber wenn man das machen will, dann muss man sich wenigstens mal im Netz aufgehalten haben. Und zwar mit richtig Lust und Spaß. Mich ärgert besonders, dass wir regelmäßig den Anspruch erheben, Qualitätsjournalisten zu sein. Wir wollen den Leuten ja Orientierung bringen mit unserem Qualitätsjournalismus. Aber mal ganz ehrlich: Würdest du jemanden auf einen neuen Kontinent folgen, der nicht mal die Landessprache spricht? Ich würd´s nicht tun.
Weil wir gerade bei dem Thema neue Kontinente sind, lass uns doch mal einen Blick in die Glaskugel werfen. Wo stehen wir denn mit dem Journalismus und dem ganzen Medienkram im Jahr 2015?
Also, die Autos, die damals bei „Zurück in die Zukunft“ entworfen wurden, werden 2015 immer noch nicht fliegen, das finde ich sehr schade. Medientechnisch werden wir vermutlich alles komplett abrufen können. Das, was bisher tatsächlich noch etwas diffus und wolkig erscheint, dürfte dann schon sehr viel klarer und auch selbstverständlicher sein. Also, alle Inhalte immer und überall auf allen möglichen Geräten abrufen können, das wird 2015 sicher der eine große Trend sein. Was die ganze aktuelle Diskussionen um Urheberrecht und ACTA angeht: Ich glaube, dass die Rechteinhaber einsehen werden müssen, dass sie davon profitieren, wenn sie ihre Inhalte einer breiteren Masse zur Verfügung stellen. Das nächste große Thema der nächsten Jahre wird Video sein. YouTube ist schon jetzt die zweitgrößte Suchmaschine der Welt. Es gibt etliche junge Leute, die einfach über YouTube recherchieren, wenn sie was wissen wollen. Die suchen sich dann ganze Dokumentationen oder einfach nur einen Schnipsel aus „Galileo“. Video ist das Feld, das aus meiner Sicht momentan noch am wenigsten besetzt ist. Wenn wir uns nochmal das Bild von dem neuen Kontinent vorstellen: Wir befinden uns an den Rändern, der Wilde Westen liegt erst noch vor uns. Und da ist Video bisher am wenigsten erschlossen,weil es da bisher noch die größten technischen Barrieren gab. Sowohl in der Herstellung als auch beim Abruf. Aber das wird sich in den kommenden Jahren ändern und dann ist Video ein ganz großes Thema. Ich sage bewusst nicht Fernsehen. Sondern Video.
Und deine ganz persönliche Zukunft? Wann sehen wir dich wieder in New York oder in Ägypten oder sonstwo auf dem Planeten, kannst du schon was verraten?
Lest mein Blog! (lacht) Das ist eine Frage, die sich mein Chef unlängst auch schon gestellt hat, ob ich demnächst mal aus der Antarktis berichte. Im Ernst, ich weiß es noch nicht, aber es wird sicher nichts sein, um einfach einen Effekt zu erzielen, sondern etwas, was mich einfach interessiert. Keine Ahnung, was mich in drei oder vier Wochen wieder reiten wird. Aber das ist ja das faszinierende an diese neuen Möglichkeiten: Ich muss ich nicht lange planen und um Erlaubnis fragen, sondern ich kann sofort machen und das online stellen und sofort mit den Nutzern darüber diskutieren. Kurz gesagt: Wir werden es sehen…
„Wahl-Münchner“ – ist das nicht eher irreführend, wenn einer schon als Kind hier wohnte (keine Ahnung, wo er geboren wurde) und jetzt, als Erwachsener, zwischen Israel und Deutschland pendelt?
Geboren ist er irgendwo im Rheinland, also kein native Mingarer…;-)
Schönes Interview. Bin derzeit als jobsuchender Uni-Absolvent (Powi, Mewi, Geschicte abgeschlossen mit 1,6) in ner ähnlichen Lage wie der 20-jährige, steh aber noch vor einigen Fragen: Wo find ich denn Gleichgesinnte, wie kommt dabei Geld rum…son Kram halt. (Ja, der Universalcode liegt mir vor ;-))
Community im Netz suchen, finden, aufbauen? Konkreter gefragt: Wäre das von dir beschriebene eine eigene Rubrik, Community whatever auf dieser Seite hier wert?
Hmmm, gute Frage. Die vergangenen Tage hab ich mir nebenher den Kopf zerbrochen, wo genau ich mit meiner Frage hinwollte…Also: Mir fehlen quasi empirische Erfahrungen von freien Journalisten. Zumindest liest sich Richards Antwort so, als ob er in die Richtung denken würde. Ich hab dann mal selbst gesucht, was sich da so findet. Zunächst die Seite vom DJV [1] und vom Freischreiber [2], später stieß ich dann auch auf die gesuchten empirischen Antworten: [3-6] wonach die Situation Freier zwischen „angenehm“ und „hundeelend“ schwebt. Ins Blaue hinein einen der hinter den unter [7] gelisteten Journalisten nach seiner Arbeit zu fragen, ist auch nicht meine Art (vor allem, weil sich das teils unerfreulich las). Die Frage für mich ist z.B., wodurch die unterschiedlichen Situationen entstehen: Quereinsteiger aus einem ganz anderem Beruf (z.B. Angestellter), keine Spezialisierung auf ein „gefragtes“ Thema oder Fachgebiet (Medizin, Technik…), Qualität der Texte oder deren Klickraten, etc. Als Folge daraus dann die Frage, ob das mit meinem Hintergrund Sinn macht, wie sich mein Marktwert erhöhen lässt usw.
Ob sich daraus eine Rubrik entwickeln lässt, kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich wäre problematisch, dass jeder der Freien eigene Erfahrungen mitbringt, und die wenigsten den Überblick haben, um die vorgenannten Faktoren objektiv zu beurteilen.
[1] http://www.djv.de/Tipps-und-Infos-fuer-Freie.399.0.html
[2] http://freischreiber.de/frei-sein
[3] http://www.zeit.de/2007/45/C-Freie-Journalistin
[4] http://netzwertig.com/2009/02/01/offener-brief-vom-neid-auf-die-festangestellten/
[5] http://netzwertig.com/2009/02/03/offene-antwort-vom-glueck-eines-freien-journalisten/
[6] http://www.pushthebutton.de/2011/08/03/zeitungsstreik-solidaritaet-wieso-weshalb-warum/
[7] http://www.djv.de/Netzwerk.2207.0.html