Meinung 17. Februar 2012

Du musst dein Medium ändern

by Christian Jakubetz

Medien sind im Wandel. Das ist so ziemlich die banalste Feststellung, die man treffen kann. Aber was genau passiert da, warum haben wir es plötzlich mit anderen Kanälen, anderen Darstellungsformen und anderem Publikum zu tun. Prof. Ralf Hohlfeld und Matthias Strobel beschreiben das in einer kleinen Serie. Erste Frage heute: Warum sich mit der Digitalisierung auch das Publikum und die Öffentlichkeit wandeln.

Die Herstellung von Öffentlichkeit obliegt nicht länger ausschließlich journalistischen Akteuren bzw. Akteuren der professionellen Medienkommunikation. Journalismus hat heute sein Monopol bei der Herstellung von Öffentlichkeit verloren (vgl. Hohlfeld 2010, S. 24). So genannte offene Medienlandschaften, vornehmlich das Social Web, haben dem Journalismus das Monopol streitig gemacht und haben es längst gebrochen (vgl. Haque 2009). Dabei spielt es keine wesentliche Rolle, ob die Beziehung zwischen professi-onellen Kommunikatoren und kommunikativem „long tail“ als Konkurrenzverhältnis oder Komplementärverhältnis modelliert wird (vgl. Neuberger 2009). Aus der entmonopolisierten Herstellung und Bereitstellung von Themen zur öffentlichen Kommunikation resultiert Zweieinhalbjahrhunderte nach der Konstituierung einer bürgerlichen Öffentlichkeit (vgl. Habermas 1990; Habermas 1992) ein zweiter Strukturwandel der Öffentlichkeit: Zurück von der globalen Bühne der zentral via Medien vermittelten Massenkommunikation in die Nischen kleinerer themengebundener sozialer Netzwerke und diskursiver Zirkel, die sich auf mehr oder weniger offenen politischen Diskussionsforen bewegen.

Dieser Befund zur Richtung des Öffentlichkeitswandels ist weithin unstrittig, er wird aber in der Forschung unterschiedlich bewertet. Während Neuberger (2009, S. 20) aus einer eher techno-deterministischen Blickrichtung der Fragmentierungsthese (vgl. Sunstein 2007, S. 46ff.) eine einseitige Sicht des neuen Mediums bescheinigt, „in der von der bloßen Möglichkeit, dass jeder nach seinem Gusto kommuniziert und rezipiert, direkt und ohne sorg-fältige empirische Prüfung auf den tatsächlichen Gebrauch des Mediums und den Zerfall der Öffentlichkeit geschlossen wird“, geht Habermas (2008, S. 162) unter normativen Prä-missen davon aus, dass zumindest in liberalen Gesellschaften im virtuellen Raum vorerst die „funktionalen Äquivalente für die Öffentlichkeitsstrukturen, die die dezentralisierten Botschaften wieder auffangen, seligieren und in redigierter Form synthetisieren“, fehlen. Damit verweist Habermas auf die mögliche Gefahr, dass durch die Atomisierung des Publikums die nationalen Öffentlichkeiten unterminiert werden könnten (vgl. Habermas 2008, S. 162.)

Klarer Befund, unterschiedliche Konsequenzen

Ungeachtet der noch ausstehenden empirischen Prüfung, die unter Umständen eine funktionale Metamorphose vom Gatekeeping zum Gatewatching (vgl. Bruns 2005, S. 11ff.; Bruns 2009; Neuberger 2009, S. 55f.) belegen könnte, lässt sich unter den Auspizien der Mediennutzungsforschung zunächst quantitativ feststellen, dass in Folge der Segmentierung und Fragmentierung von Angeboten und ihrer Nutzung Öffentlichkeit weiter in Teilöffentlichkeiten zerfällt, die meist unverbunden nebeneinander stehen. Deren potenzi-elle Sinn- und Identitätsstiftung bleibt begrenzt auf Gruppen von sehr unterschiedlicher Größe und Reichweite. In Bezug auf die Gesellschaft droht dieses Moment verloren zu gehen, und damit einhergehend wird nun auch die Integrationsfunktion der Massenmedien erheblich relativiert. Diese funktionale Ablösung dürfte sich unabhängig von der Frage vollziehen, ob ein normativer oder funktionalistischer Ansatz vertreten wird.

In diesem Zuge verliert insbesondere gemeinwohlorientierte Kommunikation drama-tisch an Bedeutung – nicht nur im direkten Vergleich zur ihr gegenüberstehenden interessengeleiteten Kommunikation (Public Relations, Organisationskommunikation, Werbung). Vielmehr wird die öffentliche Aufgabe der Medien, die über viele Jahre, meist wenig reflektiert, in ihrer Bedeutung mit dem Journalismus gleichgesetzt wurde, Stück für Stück ausge-höhlt. Wächst sich die zunehmende Partizipation von nichtjournalistischen Akteuren an der Herstellung von Öffentlichkeit weiter aus, werden die verfassungsrechtlich indirekt legitimierten Instanzen wie Tageszeitungen und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, die paradigmatisch für die normativen Funktionen des Journalismus stehen, ihre exklusive Teilhabe an der vom Grundgesetzt garantierten Pressefreiheit einbüßen – und damit folg-lich zugleich auch die vielfältigen Privilegien der Presse, die mit dem hohen Verfassungs-rang einhergehen.

Mediengeschichte – eine Geschichte des Wandels

Da Medien als Träger öffentlicher und personaler Kommunikation per se und deshalb auch von jeher der technischen Veränderung und Umformung unterliegen, ist der Begriff Medienwandel streng genommen tautologisch. Der Wandel eines Materialobjekts bzw. mehrerer Materialobjekte ist sicher für eine Wissenschaft von einigem Interesse, jedoch greift die Disziplin zu kurz, wenn sie in der Folge der digitalen Innovationen des ausgehenden 20. Jahrhunderts und der globalen Vernetzung des beginnenden 21. Jahrhunderts Professuren, Lehrstühle und Forschungsschwerpunkte für Medienwandel ausschreibt. Die Debatte um das Formalobjekt öffentliche Kommunikation in den Siebzigerjahren hatte seinerzeit be-lastbare Hinweise erbracht, dass wir das Prozedurale, also den Prozess der gesellschaftli-chen Kommunikation in den Fokus unserer Aufmerksamkeit stellen sollten. Vom Ende dieses Ergebnisses her zu denken, bedeutet, den Wandel der Öffentlichkeit ins Zentrum des Faches zu rücken (vgl. Kohring 2009, S. 73f.). Die Mediengeschichte ist eine Geschichte des Medienwandels, der die einzige Konstante in der sozialen Kommunikation ist. Deshalb plädiert dieser Beitrag, anders als die meisten empirischen und theoretischen Arbeiten zum kommunikativen Wandel der Gesellschaft (vgl. statt vieler Neuberger 2009), dafür, den Medienwandel als unabhängige und den Öffentlichkeitswandel als abhängige Variable zu modellieren. Folglich gilt es unter den Vorzeichen der enormen technischen Umbrüche nicht in erster Linie den Wandel der Medien zu beobachten, sondern den Wandel der Öf-fentlichkeit. Manfred Rühl (vgl. etwa 1980) hatte in den Siebziger-und Achtzigerjahren die Aufgabe von Journalismus bewusst auf die Formel Herstellung und Bereitstellung von Themen zur Öffentlichen Kommunikation reduziert, wohl ahnend, dass dem Journalismus nach einer vergleichsweise langen Phase des Monopols zunehmend Konkurrenz bei dieser Aufgabe erwachsen würde. Neben den diversen Formen der strategischen und interessege-leiteten Kommunikation hat das Web unterdessen den Jedermann-Kommunikator hervor-gebracht, der gradualisiert an der Bereitstellung von Themen zur Netzwerk-, teilöffentli-chen und öffentlichen Kommunikation mit wirkt. Dies zeichnet den künftigen Weg von der Medienkonvergenz zur Kommunikationskonvergenz vor. Konkret gesprochen schreibt uns dies als Fachdisziplin die Weitung des Blickwinkels auf die Herstellung von Öffentlich-keit ins Pflichtenheft, die sich insbesondere durch Medienkonvergenz und Kommunikati-onskonvergenz wandelt. Umso mehr, als noch immer gilt: Öffentlichkeit ist „ein historischer Begriff von bemerkenswerter Schwammigkeit“ (Negt u. Kluge 1972, S. 17)

Die Texte aus dieser Serie stammen aus dem Aufsatz “ Neue Medien – Neue Öffentlichkeit(en) – Die Medien- und Kommunikationskonvergenz als zentrale Herausforderung der Kommunikationswissenschaft“

 

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